Die Rückkehr der Führer

■ Europas Rechtsradikale: Einschätzung und Bericht

Das Phänomen ist unübersehbar: Von Stockholm über Bremen bis nach Marseille und Wien — wo immer in Europa Wahlen abgehalten werden, gehen neuerdings die radikal Rechten gestärkt daraus hervor. Mit wachsenden Fraktionen ziehen sie in die Parlamente ein. Immer selbstbewußter gehen sie auf die Straße. Und immer beliebter sind sie auch als Gäste von etablierten konservativen Parteien und populären Talk-Shows.

Die Protagonisten sind höchst unterschiedliche Figuren. Da gibt es den alt-rechten Franzosen Jean Marie Le Pen, dessen „Front National“ seit Anfang der 80er Jahre kontinuierlich an Stärke gewinnt, und modernisierte Rechtsradikale wie den österreichischen Saubermann Jörg Haider, dessen erfolgreiche „Freiheitliche Partei“ weiterhin zum vornehmen Club der Liberalen Internationale gehören darf.

Je nach Land haben die Rechtsradikalen ganz unterschiedliche politische Vorlieben. In Skandinavien steht die Aufhebung der Steuern im Mittelpunkt; in der Schweiz macht eine Partei Furore, die die völlige (Rase-)Freiheit für Autofahrer propagiert; im Norden Italiens sind „Ligen“ angetreten, die „regionale Identität“ gegen das Fremde zu verteidigen. Manche kommen als Schläger in SS-Stiefeln mit den alten Nazi- Enblemen daher, andere hüllen sich in Designer-Anzüge und mischen sich unter die „Spitzen der Gesellschaft“. Gemeinsam ist ihnen allen jedoch der Rückgriff auf ausländerfeindliche und rassistische Ressentiments. Das ist der Stoff, aus dem ihre Parolen sind.

Jedesmal, wenn eine dieser Organisationen einen der berüchtigten „erdrutschartigen Siege“ an der Wahlurne schafft, setzt das besorgte Rätseln über den rechten Rand der Gesellschaft ein. Auch wenn es gewalttätige Zusammenstöße auf der Straße und Angriffe gegen Ausländer gibt, beherrschen die Rechtsradikalen für ein paar Tage die Medien, wird über ihr Woher und Wohin spekuliert. Doch sobald das Alarmgeschrei verebbt ist, verschwindet das ganze unangenehme Thema wieder in der Versenkung.

Wer mehr über rechtsradikale Parteien und Bewegungen wissen will, wer Hintergründe, Analysen und einen Überblick sucht, dem sei Die Rückkehr der Führer, herausgegeben von Martina Kirfel und Walter Oswalt, empfohlen, das in diesem Jahr in einer aktualisierten zweiten Auflage erschienen ist. Auf 372 Seiten nimmt das Buch die rechtsradikale Szene in Westeuropa (einschließlich der FNL) sorgfältig unter die Lupe. Es enthält Entstehungsgeschichten zahlreicher nationaler Organisationen und Portraits ihrer Führerfiguren sowie Beiträge über deren internationale Zusammenarbeit. Daneben liefert es dringend nötige Begriffsdefinitionen, historische und theoretische Zusammenhänge sowie Berichte über die Auseinandersetzung mit Rechtsradikalen. Verfaßt sind die Beiträge von JournalistInnen (darunter mehrere tazlerInnen) und WissenschaftlerInnen. Neben leicht lesbaren Reportagen finden sich analytische Texte sowie ein kurzer historischer Abriß zu jedem Land. Für den schnellen Überblick gibt es ein Glossar über rechtsradikale Organisationen und Veröffentlichungen. Dieses letzte Kapitel gibt dem Buch zusätzlich die Qualität eines Nachschlagewerks.

Die Rückkehr der Führer ist ein Wegweiser durch die immer dichter werdende und besser organisierte rechtsradikale Szene und insofern ein Buch, das heutzutage leider nötig geworden ist. Schlimmer noch: Es sieht ganz danach aus, als ob bei der nächsten Auflage noch einmal eine gehörige Ausweitung nötig würde, denn inzwischen wächst auch in Osteuropa eine rechtsradikale Szene heran. Die vielen neuen „Führer“, die sich derzeit zwischen Prag und Moskau etablieren, und der dort grassierende Nationalismus und Antisemitismus sind in dieser Ausgabe von Die Rückkehr der Führer noch nicht behandelt. Dorothea Hahn

Martina Kirfel und Walter Oswalt (Hrsg.): Die Rückkehr der Führer

2., ergänzte und korrigierte Auflage, 1991, Europaverlag, Wien- Zürich, 39,80 DM.