„Weil ich politisch verfolgt werde“

■ Honeckers Moskauer Erklärung im Wortlaut

Moskau (ap) — Die in deutscher und spanischer Sprache gestern über die chilenische Botschaft verbreitete Erklärung Erich Honeckers hat folgenden Wortlaut:

„1. Eine Auslieferung ist völkerrechtswidrig.

2. In dem Bestreben der Regierung der Bundesrepublik, den ehemaligen Vorsitzenden des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates der DDR vor Gericht zu stellen, liegt die politische Absicht zugrunde, mit den Repräsentanten des ,Unrechtsregimes der DDR‘ abzurechnen.

Ein Strafverfahren gegen ein Staatsoberhaupt wegen verfassungsgemäßen Handelns in Ausübung seines Amtes durch ein Gericht der BRD ist eine Verletzung des Völkerrechts.

3. Ich habe die sowjetische Regierung um Asyl gebeten, weil ich politisch verfolgt werde. Die Beweise dafür liegen offen auf der Hand. Politische Strafverfahren schließen eine Auslieferung aus.

4. Die Behauptung, die sowjetische Regierung habe bei meiner durch meine Erkrankung bedingten Verlegung nach Moskau die Souveränität der Bundesrepublik verletzt, entspricht nicht den Tatsachen. Die Souveränität der Bundesrepublik in diesem Sinn existiert erst seit Austausch der Ratifizierungsurkunden des ,Zwei-plus- vier‘-Vertrages.

5. Meine Verlegung in die Sowjetunion erfolgte mit meiner Zustimmung.

6. Zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik gibt es keinen Auslieferungsvertrag, auch nicht zwischen Rußland und der Bundesrepublik. Infolgedessen ist die hiesige Regierung nicht veranlaßt, auf ein solches Ersuchen einzugehen, geschweige denn ihm zu entsprechen, da politisch Verfolgte entsprechend dem Völkerrecht nicht ausgeliefert werden dürfen.

7. Es ist übrigens internationales Recht, daß nur dann eine Person an einen anderen Staat ausgeliefert werden darf, wenn das Vergehen, dessen er beschuldigt wird, auch in dem Staat, von dem die Auslieferung verlangt wird, nach der Rechtsordnung strafbar ist.“