■ DIE PREDIGTKRITIK (HEUTE KATHOLISCH)
: Der Frieden Gottes

Die Schwestern des Karmeliterordens haben eine Art zu singen, daß es das Herz berührt; leider singen sie sehr selten. Der Kardinal Georg Sterzinsky hat eine Art zu sprechen, daß man sofort abschalten möchte; er sprach sehr lange. Die Predigt hielt er in der Kirche Maria Regina Martyrum, nachdem wir zuerst die Lesung Paulus an die Philipper hörten, in der es diesen seltsamen Satz gibt: »...der Frieden Gottes, der alles Verstehen übersteigt...« Das Lukas-Evangelium erzählt, wie das Volk Johannes den Täufer fragte: »Was sollen wir tun?« Und Johannes sagt ihnen, daß sie Essen und Gewänder teilen sollen. Den Zöllnern rät er, nicht mehr Zoll zu verlangen als festgesetzt, und den Soldaten, mit ihrem Sold zufrieden zu sein und niemanden zu mißhandeln. Da dachten die Leute, daß er der Messias sei, aber Johannes erklärt, er taufe nur mit Wasser, daß da aber ein Stärkerer kommen werde, »dem ich nicht genugsam bin, daß ich die Riemen seiner Schuhe auflöse; der wird euch mit dem Heiligen Geist und Feuer taufen«.

Und jetzt spricht der Kardinal in seiner manierierten, hart akzentuierten Weise, die denn doch zweifeln läßt, ob er wirklich mit dem Herzen voll des Friedens Gottes dabei ist, weil man ständig mit dem richtigen Verstehen beschäftigt ist. »Was sollen wir tun?« sagt er, sei die ständige Frage der Menschen (nicht ohne Grund, Herr Kardinal!), und dann könne man doch fast ein wenig enttäuscht darüber sein, daß Johannes nur die selbstverständlichsten, also »urchristlichen« Forderungen stelle. Neben dem Täufer Johannes erwähnt er Johannes vom Kreuz und Therese von Avilar, die wohl beide sehr fanatische und kompromißlose Heilige gewesen sein müssen, Johannes vom Kreuz sogar so extrem, daß ihn die eigenen Ordensbrüder gefangenhielten — in dieser Gefangenschaft hat er die schönsten Liebesgedichte an Gott geschrieben, und zum Sterben wollte er keinen Psalm, sondern das Hohe Lied Salomons hören —, aber darüber weiß ich nichts, und der Kardinal war auch recht sprunghaft. (Wie ich überhaupt unbefriedigt feststellen muß, daß es auch im Glauben recht unkonzentriert und von Hölzken auf Stöcksken zugeht!) Oder setzte er etwa voraus, daß es alle anderen wußten, und so kam er wieder zurück zum Täufer Johannes und daß es so »heilig« von ihm gewesen ist, als »adventlicher«, das heißt erwartender Mensch gehandelt und gesprochen zu haben, indem er darauf hinwies, nur Wegbereiter für den, der kommen sollte, zu sein. Das »gute Tun« sei zwar an und für sich schon in Ordnung, aber nicht als das Eigentliche zu verstehen: »Wir sollen uns schon einsetzen, aber es nicht als letzten Weg verstehen, dessen Ziel Gott ist.« Was aber ist der »letzte Weg«?

Der Kardinal spricht jetzt von den Mühen der Christen, ihre ganzen Energien in den Weihnachtsrummel zu stecken, »die Säkularisierung und Kommerzialisierung des Brauchtums verbrauchen unsere Kräfte« — wer zwingt sie dazu? Die Menschen hätten allmählich begriffen, daß Schuld anders als durch Gerichtsurteile gesühnt werde (spielt er vielleicht zaghaft auf Honecker an?), und er weist auf die Nähe des Karmel zu Plötzensee und Dachau hin — er hätte vielleicht noch mal was zum Klosterproblem in Auschwitz sagen können. Hat er aber nicht, vielleicht, weil es zu sehr in der Nähe des »Was sollen wir tun?« gerät, und er hätte auch über die Zweifel mancher seiner Glaubensbrüder und -schwestern zur Zölibats- und Verhütungsfrage sprechen können... »Was sollen wir tun?« hätte er nicht als Frage der gläubigen Laien, sondern der Profis darstellen können, aber hat der Kardinal nicht erst neulich, als es hieß, er fände das Zölibat auch mal wegschmeißwürdig, gesagt, das sei nicht ernst gemeint gewesen? Was wollen Sie tun, Herr Kardinal? Renée Zucker