Oldies but Goldies

■ Wie geht es den 90jährigen?

Je älter desto schneller. Keine Altersgruppe wächst ähnlich rasant an wie die Hochbetagten. Derzeit gibt es in Gesamt-Deutschland amtlich gezählte 259.777 Personen, die 90 Jahre und älter sind. Davon haben 37.185 Personen das 95. Lebensjahr erreicht oder überschritten. Bis zum Jahr 2000 wird sich die Altersgruppe der Über-90jährigen nochmals fast verdoppelt haben.

Zwei britische Wissenschaftler (M. Bury, A. Holme: Life after Ninety) haben jetzt 200 Personen befragt, die älter als 90 Jahre sind, und eine Untersuchung über ihr Befinden vorgelegt. Erstaunlich ist der Optimismus, den die Alten zumindest in den Interviews zeigten. Mehr als 70 Prozent beharren darauf, daß sie sich „in good spirits“ befinden, sich niemals einsam fühlen und keine Probleme haben. Bei denjenigen, die nicht im Altenheim, sondern zu Hause leben (das ist etwa die Hälfte), liegt der Anteil der „voll Zufriedenen“ sogar bei 90 Prozent. Zwei Drittel gaben an, niemals Schlafprobleme zu haben. Und auch wenn sie zum 35.000sten Mal erwachen, freuen sie sich auf einen erfüllten Tag.

Grund zur Klage hätten die meisten. Fast alle leiden an mindestens einer chronischen Krankheit, fast alle hören schlecht und haben Sehschwächen, zwei Fünftel nehmen regelmäßig Schmerzmittel ein. Aber sie haben gelernt, mit diesen Beeinträchtigungen klarzukommen und dennoch am Leben teilzunehmen. Und auch der nahende Tod wird, wie die Autoren berichten, größtenteils mit Gelassenheit und Ruhe betrachtet.

Wie wird man 90 oder 95 Jahre alt? Ein Großteil der Alten kommt aus einer Familie mit hoher Lebenserwartung und blieb schon in den ersten Lebensjahren von infektiösen Kinderkrankheiten verschont. Unterschicht-Angehörige sind selten zu finden, die meisten gehören der Mittelschicht an. Frauen haben größere Aussichten, alt zu werden als Männer. In der britischen Bevölkerung ist das Geschlechterverhältnis bei den 90jährigen 4:1 zugunsten der Frauen. In der Bundesrepublik entdeckt man bei den 95jährigen sogar ein Verhältnis von fast 5:1.

Den alten Streit über den Einfluß von Alkohol und Nikotin auf die Lebenserwartung werden die 200 britischen Modellneunziger kaum lösen können. Die Hälfte der Befragten trinkt gern ein Gläschen, aber nur ganz wenige konsumieren größere Mengen Alkohol, und ebenso klein ist die Zahl der Raucher. 81 Prozent essen täglich Fleisch und Wurst, 67 Prozent mögen keine Margarine, sondern bevorzugen Butter, was die Cholesterin-Apostel sicher erstaunen wird.

Und was ist die größte Beschwernis im Alltag? An erster Stelle nennen die Autoren das Schneiden der Zehennägel, dann folgt das Zubereiten der Mahlzeiten, dann das Baden. Kritische Töne wurden vorwiegend bei den Heiminsassen hörbar. Sie beklagten vereinzelt die Personal-Engpässe der Häuser, einen Mangel an Autonomie, an Menschlichkeit und das dürftige Ambiente. Manfred Kriener