Politischer Narzismus

■ Polens politische Klasse ist hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt

Politischer Narzismus Polens politische Klasse ist hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt

Walesas Hoffnung ist nicht aufgegangen, Polens Parlament hat offenbar keineswegs die Absicht, sich wirklich selbst zu entmachten. Die Abgeordneten haben erst Olszewski eine solide Mehrheit für eine Regierungsbildung verschafft, dann haben sie ihn am Mittwoch gegen den Willen des Präsidenten im Amt gehalten. Wie es einer der Redner ausdrückte: Die Rechtskoalition hat eine Mehrheit bei den Wahlen erhalten, sie hatte eine im Parlament, also soll sie auch regieren. Ob das bei den teilweise abenteuerlichen, teilweise äußerst verschwommenen wirtschaftspolitischen Ansichten der fünf Koalitionäre für Polen unbedingt das Beste ist, ist eine Frage. Daß die Wähler es so wollten, eine andere.

Walesa versucht sich dem entgegenzustellen und möchte um jeden Preis eine Regierung ins Amt heben, die die bisherige Wirtschaftspolitik weitermacht. Polens Gläubiger ebenso wie der IWF, die Weltbank und die USA machen — glaubt man entsprechenden Hinweisen — kein Hehl daraus, daß sie den Experimenten der Fünf wenig abgewinnen können. Doch die bisherige Politik hat keine Mehrheit. Walesa kann, das haben die letzten Wochen gezeigt, nur Regierungen verhindern, selbst welche zustande bringen kann er nicht. Die Parlamentsfraktionen sind sich zugleich im klaren darüber, daß auch eine Regierung, die den Präsidenten gegen sich hat, keine große Zukunft hätte.

Walesa hat seine Macht gezeigt, indem er die Fünferkoalition zerschlug; die wiederum zeigte ihre Gegenmacht, indem sie Olszewski im Amt hielt. Patt. Solche Aktionen mögen ihren Wert beim Schachspielen haben, wirklich leisten kann sie sich Polen nicht. Während der Staatshaushalt langsam zusammenbricht und die Arbeitslosenzahlen steigen, während sich Staatsbetriebe dem Bankrott nähern und ein Finanzskandal den andern jagt, ist Polens politische Elite mit sich selbst beschäftigt. Alle wichtigen Posten, vom Nationalbankchef über das Finanzministerium bis zum Premier werden von Statthaltern wahrgenommen. Wenn da der Ruf nach dem starken Mann ertönt, kann das nicht wundern. Aber der starke Mann, der kann nur Walesa heißen. Mag sein, daß es ihm genau darum geht. Eine Demokratie, die nur Armut, Skandale und Pattsituationen beschert, hat im Volk immer weniger Anhänger — die von Wahl zu Wahl höhere Zahl der Stimmverweigerer beweist es. Klaus Bachmann