„Panama ist ein besetztes Land“

■ Zwei Jahre nach der US-Invasion schätzen Menschenrechtsgruppen die Zahl der Toten auf 5.000

Panama-Stadt/Washington (ips/ taz) — Es ist ein Jahrestag, an den sich keiner so recht erinnern mag. George Bush nicht, auf dessen Befehl am 20. Dezember 1989 25.000 US- Soldaten in Panama einmarschierten; Guillermo Endara nicht, der noch am gleichen Tag als neuer Präsident vor Washingtons Gnaden vereidigt wurde; die US-Presse nicht, die zum ersten Mal mit der neuen Desinformationsstrategie des Pentagon konfrontiert wurde; und schon gar nicht Manuel Noriega, dessen Amtszeit als Regierungschef mit diktatorischen Vollmachten an jenem 20. Dezember jäh endete. Wenige Wochen später wurde er in die USA verbracht und sitzt seitdem im US- Bundesstaat Florida unter anderem wegen Drogendelikten auf der Anklagebank.

Mit Verbitterung werden allerdings zahlreiche ehemalige Bewohner von „El Chorillo“ heute in Panama-Stadt jenes Tages gedenken, an dem ihr Elendsviertel durch die Angriffe der US-Armee in Schutt und Asche gelegt wurde. Die US-Soldaten waren mit einer missionarischen Auftragsliste in die renitent gewordene Ecke des amerikanischen „Hinterhofs“ geschickt worden: Das Leben amerikanischer Bürger sollten sie schützen, die demokratischen Verhältnisse im Land wiederherstellen, die Unversehrtheit der Kanalverträge garantieren und schließlich den amtierenden Machthaber Noriega — von Washington zum Symbol des Drogenschmuggels hochstilisiert — festsetzen. „Operation Just Cause“ — so wurde die Invasion getauft, die viele als Generalprobe der US-Armee für den Golfkrieg und spätere Einsätze in der dritten Welt ansehen.

Wie viele Menschen für diese „gerechte Sache“ getötet worden sind, ist bis heute nicht geklärt. Nach offiziellen Angaben Washingtons wurden bei der Invasion 23 US-Soldaten und etwas mehr als 500 panamaische Soldaten und Zivilisten bei den heftigen Kämpfen getötet. Dagegen stellte die Internationale Kommission für Menschenrechte in Mittelamerika (CODEHUCA) in einem Untersuchungsbericht fest, daß „die Zahl der Todesopfer unter der Zivilbevölkerung ... mindestens zehnmal so hoch wie die von den USA offiziell genannte Zahl“ war.

Die US-Regierung habe falsche Angaben über Massengräber gemacht und laut Zeugenaussagen das Krankenhauspersonal daran gehindert, die Toten zu registrieren. Auch wenn sich in den USA heute kaum jemand den Kopf über völkerrechtliche und ethische Einwände gegen die Invasion zerbrechen wird, die US- Botschaft in Panama-Stadt wird den Unmut der politischen Opposition zu spüren bekommen. Mit Kundgebungen, Mahnwachen und Fackelzügen protestieren unter anderem das „Komitee der Angehörigen der Opfer vom 20. Dezember“ nicht nur gegen die Invasion vor zwei Jahren, sondern auch gegen die Politik des seitdem amtierenden Staatspräsidenten Endara. Die Teilnehmer der Demonstration werden laut Isabel Corro, der Vorsitzenden des Komitees, schwarz gekleidet sein, „um daran zu erinnern, daß Panama ein von den USA besetztes Land ist“.

Endara kann sich seiner durch US-Militärs erzwungenen Amtseinführung kaum mehr freuen. Ihm wird inzwischen als schwerer Fehler angerechnet, daß er sich zum Präsidenten machen ließ, während das Land von fremden Truppen besetzt war. Demonstrationen in den Straßen gegen die Wirtschaftspolitik seiner Regierung, Korruptionsvorwürfe und das Zerwürfnis zwischen den Parteien des Mitte-Rechts- Wahlbündnisses von 1989 prägten den innenpolitischen Alltag des Jahres 1991.

Nicht nur die Opposition, auch regierungsfreundliche Institutionen wie das panamaische Menschenrechtskomitee oder die Kirche, Unternehmer, Arbeiter und sogar Abgeordnete seiner eigenen „Authentischen Liberalen Partei“ (PLA) urteilen negativ über die Regierungspolitik Endaras in den zwei Jahren.

„Weil Entscheidungen in der nordamerikanischen Botschaft getroffen werden“ und nicht von Endara selbst, stehe die gegenwärtige Regierung so schwach da, erklärte Mitte Dezember die „Nationalistische und demokratische Tagung“, eine Vereinigung von Gewerkschaftern und Freiberuflern.

Mit zunehmend mulmigem Gefühl dürfte man in Washington auch den lange vorbereiteten Prozeß gegen Ex-Machthaber Noriega betrachten. Der Wunsch, auf US-amerikanischem Boden einen politisch mißliebig gewordenen Hinterhofdespoten als Drogenschmuggler abzuurteilen, scheint nicht so leicht umzusetzen zu sein, zumal Noriega erwiesenermaßen über Jahre hinweg sehr kollegiale Kontakte zur amerikanischen Regierung und dem Geheimdienst CIA hatte, bevor er in Ungnade fiel. Just drei Tage vor dem Jahrestag der Invasion wurde in Miami vorerst eine Verhandlungspause verhängt, um Noriegas Verteidigern die Chance zu geben, neues Beweismaterial zu sichten. Denn nach den jüngst entdeckten Unterlagen soll Noriega zwischen 1983 und 1987 eng mit der amerikanischen Anti- Drogen-Behörde zusammengearbeitet haben. Das würde gar nicht mehr in das Bild der Anklage passen, wonach der Ex-Armeechef Panamas nichts weiter als ein verlängerter Arm des kolumbianischen Medellin- Kartells gewesen sein soll. anb