Serben gegen das „Diktat aus Brüssel"

Das serbische Parlament debattierte über den EG-Beschluß, Kroatien und Slowenien anzuerkennen: Die EG verhält sich wie ein Aggressor/ Aufruf zum „Widerstand gegen Großdeutschland“  ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler

Das Belgrader Parlament debattierte gestern öffentlich über die Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft, die einzelnen jugoslawischen Republiken als mögliche neue Balkanstaaten anzuerkennen. Der Tenor der serbischen Abgeordneten war einhellig: Die EG verhalte sich wie ein Aggressor, der Jugoslawien zerstören wolle und die UNO-Charta brutal verletze.

In einer Erklärung wurde dann auch festgehalten, Serbien werde sich auf keinen Fall dem „Diktat aus Brüssel beugen“. Es sei eine Ungeheuerlichkeit, einem Staat (Jugoslawien) die staatliche Souveränität abzusprechen.

Zudem sei die EG-Entscheidung ein Diktat, das „Deutschland Europa aufgezwungen habe, um ein Viertes Reich mit Einschluß neuer Kolonien zu errichten“, so der Abgeordnete Vojislav Seselj, der sich außerhalb des Parlaments bekanntlicherweise auch als selbsternannter Feldherr für ein „Großserbien“ einsetzt und die faschistische „Cetnik“-Bewegung des Zweiten Weltkriegs wiederbelebte. Doch in der Belgrader Parlamentsrunde wirkte Seselj keineswegs als Rechtsaußen. Seine Redebeiträge wurden mit großem Beifall bedacht, und recht häufig meldeten sich Abgeordnete der regierenden sozialistischen Partei Milosevics zu Wort, die „zu Seseljs grundlegenden Ausführungen noch einige Bemerkungen hinzufügen wollten“, so Milan Bojacic. Dieser Wendekommunist rief seine Landsleute offen zum „Widerstand gegen Großdeutschland“ auf. Serbien müsse der erste Staat der Welt sein, der den Kampf gegen die faschistische Gefahr aus dem Norden aufnehme.

Bezeichnenderweise distanzierte sich kein serbischer Volksvertreter zum Krieg in Kroatien — auch nicht die Oppositionsparteien. Einzige Ausnahme: Zoran Djincic von der Minipartei der „Demokraten“. Er ermahnte das serbische Parlament, endlich zur Vernunft zu kommen und zu erkennen, daß Europa den Krieg in Jugoslawien mit allen diplomatischen Mitteln beenden wolle. Djincic wurde niedergebrüllt: „Sie sind doch nichts anderes als ein Soldat der deutschen Wehrmacht.“

Berichte über Massaker häufen sich

Belgrad/Zagreb (afp/dpa/ap) — Berichte über Massaker im Kriegsgebiet Kroatiens haben gestern die Bemühungen von EG und Vereinten Nationen überschattet, die Kämpfe doch noch zum Stillstand zu bringen. Die EG-Sprecherin Renilde Steeghs erklärte am Donnerstag in Zagreb, ein Beobachterteam habe die westslawonischen Orte Vocin und Hum etwa 30 Kilometer südlich der ungarischen Grenze besucht, wo abziehende serbische Freischärler willkürlich Kroaten getötet haben sollen.

Die kroatische Stadt Osijek wurde am Donnerstag erneut mit schwerer Artillerie beschossen. Auch in anderen Gebieten Westslawoniens kam es zu schweren Kämpfen zwischen kroatischen Truppen und der jugoslawischen Armee.

Die jugoslawischen Grenzen sind ab Freitag 24 Uhr offiziell für deutsche Flugzeuge, Lastwagen und Schiffe gesperrt. Für den Weihnachtsverkehr gelten Ausnahmen.