Polizeigewerkschafter Schulz „armselig“

■ Grüner Innenpolitiker Martin Thomas kritisiert Gewerkschafts-Chef

Gerade zwei Tage war der neue FDP-Innensenator Friedrich van Nispen vergangenen Freitag im Amt, da nutzte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ihre traditionelle Weihnachtspressekonferenz, um Bremen als „Schlaraffenland für Straftäter“ zu charakterisieren. Die dickste Lippe riskierte ein Sozialdemokrat, dem eine SPD/CDU Koalition lieber gewesen wäre: der langjährige Bremer GdP-Vorsitzende Hans Schulz. Reaktionen blieben nicht aus:

1. Der innenpolitische Sprecher der Bremer CDU, Ralf H. Borttscheller, sah erwartungsgemäß in Schulz' Darstellung seine „schlimmsten Befürchtungen bestätigt“. 2. Der innen- und rechtspolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Horst Isola, sprach zwar nicht von „Schulterschluß“ mit der Polizeigewerkschaft, bat den Justizsenator jedoch um Aufklärung, u.a. darüber, „ob es zutrifft, daß zwischen der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft Ermittlungsakten monatelang unbearbeitet hin- und hergeschoben werden.“

3. Der Chef der Bremer Kriminalpolizei, Möller lehnte es ab, „Öl ins Feuer zu gießen“. Er bestätigte nur auf Nachfrage: „Die Inhalte, die Schulz genannt hat, sind in der Tendenz alle richtig. Aus Personalmangel haben wir 1991 über tausend Tatorte nicht aufgesucht und es ist auch richtig, daß wir Akten zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei hin-und herschieben. Richtig ist ferner, daß wir einen Teil der Akten als 'Fliegerakten' behandeln: Diese Akten gehen an den Sachbearbeitern der Polizei völlig vorbei.“ Dies betreffe vor allem den Klau von Autoradios, allein letzteres ein 15.000faches Massendelikt in Bremen. Möller: „Wir mußten uns Luft schaffen.“ Ihn ärgere nur eines: Daß die in der Vergangenheit verantwortlichen Politiker behaupteten: „'Die Kriminalität ist zurückgegangen. Wir haben alles im Griff.' Anstatt offen zuzugeben: 'Wir können bestimmte Dinge nicht mehr leisten.'“ Auszubaden hätten den Widerspruch zwischen den Fensterreden und der polizeilichen Alltagsrealität etwa die Beamten des Erkennungsdienstes: „Die sind unterbesetzt, kommen zu spät zum Tatort und müssen sich dann die Meckerei der geschädigten Bürger anhören.“ Der Bremer Kripo- Chef: „Wenn die Politiker wenigstens schweigen würden.“

4. Offenen Widerspruch zu Schulz meldete der grüne Innenpolitiker Martin Thomas an. In einem Gespräch mit der taz sagte er: „Das was Schulz gemacht hat, ist unverantwortlich. Denn es gilt für alle Großstädte, daß die Kriminalität steigt. Und allein mit kriminalpolizeilichen Mitteln ist der steigenden Kriminalität nicht beizukommen.“ Es sei ein Beweis für die „Armseligkeit des GdP- Vorsitzenden“, wenn dieser seit Jahren nicht mehr zu bieten habe, als die Forderung nach mehr Polizei. Sein Gegen-Konzept umriß Thomas so: „Die Verlogenheit muß aufhören. Man kann nicht einerseits eine so rein materiell ausgerichtete Gesellschaft zulassen und sich andererseits über die Kriminalität beklagen.“ Thomas regte Reformen bei der Polizei an, z.B. jugendliche Ersttäter anstatt zu bestrafen, kompetent sozial zu betreuen sowie die zahlenmäßig am stärksten zu Buche schlagende Beschaffungskriminalität grundsätzlich nicht mehr polizeilich anzugehen, sondern über eine ärztlich betreute Freigabe von Heroin zu diskutieren.“ Thomas fühlt sich mit seinen Ideen nicht allein: „Ich habe Anrufe gekriegt von Polizeibeamten, die gesagt haben: 'Schulz wird keine zwölf Monate mehr Gewerkschaftsvorsitzender sein.' B.D.