Finnland zittert vor Flüchtlingen

Traditionell restriktive Asylpolitik soll beibehalten werden/ Nur 2.000 Asylanträge in diesem Jahr  ■ Aus Helsinki Rasso Knoller

Alle Jahre wieder zur Winterszeit kommt in Finnland die Angst vor den Russen auf. Seit dem Beginn von Glasnost und Perestroika fürchtet man sich in Helsinki aber nicht mehr vor einem Angriff der Roten Armee, sondern vor möglichen Hunger- und Kälteflüchtlingen aus dem zerfallenden Sowjetreich.

Noch sind sie jedoch nicht da und es ist mehr als ungewiß, ob sie jemals kommen werden. Trotzdem hat Finnland bereits jetzt Probleme mit seiner Asylpolitik. Obwohl 1990 lediglich 2.730 Asylsuchende das Land zu ihrer neuen Heimat machen wollten und in den ersten elf Monaten dieses Jahres mit 2.000 Asylanträgen sogar etwas weniger als im Vorjahr eingereicht worden sind, sind weder die finnischen Behörden noch die finnische Öffentlichkeit in der Lage, mit den Fremden fertigzuwerden.

Die Tatsache, daß die Finnen den Umgang mit Menschen anderer Nationalitäten und Kulturen nicht gewohnt sind, führt auch Risto Veijalainen, der Chef der Ausländerbehörde, als einen Grund für den wachsenden Ausländerhaß — oder im finnischen Fall besser: die wachsende Furcht vor Ausländern — an. Weitere Gründe für die Übergriffe gegen Ausländer und Ausländerwohnheime, die es auch in Finnland gibt, sind, laut Veijalainen, die Angst der Einheimischen, ihre Arbeitsplätze an die Neufinnen zu verlieren.

Ganze 16 Personen erhielten 1991 Asyl

Doch nicht nur die Öffentlichkeit tut sich mit dem Auftauchen dunkelhaariger oder dunkelhäutiger Menschen in den finnischen Straßen schwer. Auch die Behörden waren auf Asylsuchende nicht vorbereitet. Bis zum April dieses Jahres befaßte sich eine einzige Person mit der Bearbeitung der Asylanträge. Kein Wunder, daß die Antragsteller oft mit Wartezeiten von bis zu zwei Jahren rechnen mußten.

Inzwischen hat sich diese Situation, laut Auskunft von Risto Veijalainen, etwas entschärft. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit für einen Asylantrag sei auf acht bis neun Monate gesunken. Allzu große Hoffnungen, Asyl gewährt zu bekommen, sollte sich während dieser Wartezeit keiner der Antragsteller machen; lediglich 16 Glückliche erhielten in diesem Jahr einen positiven Bescheid auf ihren Antrag. Dies liegt, so die Ansicht des Chefs der Ausländerbehörde, aber nicht daran, daß Finnland mit dem Asylrecht restriktiver umgeht als beispielsweise das benachbarte Schweden. Der Grund für die geringe Anerkennungsquote sei darin zu suchen, daß in Finnland weniger Menschen aus anderen Ländern um Asyl nachsuchten als in den übrigen europäischen Ländern.

Die größte Gruppe von Asylsuchenden in Finnland stellen Somalis, die den Wirren des Bürgerkriegs in ihrem Land zu entkommen suchen. Deren Motive für die Flucht werden aber in Finnland stark in Zweifel gezogen. Die Tatsache, daß sie sich ein Aeroflot-Ticket nach Moskau leisten konnten und dann immer noch Geld hatten, um sich ein Zugbillet an die finnische Grenze zu kaufen, machte sie in den Augen vieler Finnen zu Wirtschaftsflüchtlingen. Da man aber die somalischen Flüchtlinge nicht in ihr Bürgerkriegsland zurückschicken kann, ihnen als „Wirtschaftsflüchtlinge“ aber kein Asyl gewähren will, spielt Finnland auf Zeit — 1.316 Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, erhielten eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung. Sobald sich die Lage in ihrem Heimatland beruhigt hat, sollen die ungebetenen Gäste unverzüglich in ein Flugzeug Richtung Afrika gesetzt werden.

Das Wort „multikulturell“ sorgt in Finnland für verständnisloses Kopfschütteln oder sehnsuchtsvolle Erzählungen vom letzten Urlaub in Italien. Trotzdem warnt die rechtsgerichtete „Partei der Landbevölkerung“ lautstark und mit einigem Erfolg vor Überfremdung. Immerhin fast fünf Prozent der Finnen gaben den Rechten bei den Reichstagswahlen im vergangenen März das Vertrauen. Da aber auch die „Linke Union“ und die Grünen lediglich eine Verdoppelung der bisherigen Flüchtlingsquote von 500 Personen fordern, werden Saunen und Seen auch in den nächsten Jahren den Finnen vorbehalten bleiben... und natürlich den Touristen, denn gegen Ausländer, solange sie zahlen und wieder nach Hause fahren, haben auch die Finnen nichts.