„Historischer Tag“, „historische Figur“

■ Internationale Reaktionen zum Beschluß von Alma Ata und Gorbatschows endgültiger Entmachtung

Berlin (afp/dpa/taz) — Bundesaußenminister Genscher führte das große Wort als erster im Munde: „Ein historischer Tag“ sei in Alma Ata zu Ende gegangen, so die erste Reaktion aus Bonn. Und „von historischem Rang“ ist für Genscher natürlich auch die Persönlichkeit Gorbatschows, der nun in die Geschichte eingehen werde.

Konkreteres hatte der Außenminister zuvor mit seinem ukrainischen Kollegen Anatolij Slenko verhandelt, der sich am Wochenende in Bonn aufhielt. Die geplante Anerkennung der früheren sowjetischen Republiken könne erst in Kraft treten, wenn die Kontrolle der Nuklearwaffen auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion klar und eindeutig sichergestellt sei. Genscher hatte Slenko gegenüber gesagt, die Europäische Gemeinschaft solle über die Anerkennung der neuen unabhängigen Staaten unverzüglich entscheiden. Deutschland gehe davon aus, daß die Staaten, die die Anerkennung wünschten, die von der Europäischen Gemeinschaft gesetzten Prinzipien akzeptieren. Ferner müßten sie die Verpflichtungen aus dem von der Sowjetunion unterzeichneten Abkommen über konventionelle Abrüstung anerkennen. Notwendig sei jetzt die „Bereitschaft zur Zusammenarbeit und tätigen Solidarität“, tröstete Genscher. „Und für Deutschland erkläre ich: Wir sind dazu bereit.“

Eine gewisse Zögerlichkeit in Sachen Anerkennung läßt sich auch in Washington erkennen. Die US-Regierung will einige der bisherigen sowjetischen Republiken angeblich innerhalb der nächsten zehn Tage anerkennen. Nach Informationen der 'Washington Post‘ werden Rußland, die Ukraine, Weißrußland, Kirgisien und Kasachstan dabeisein. Als Kriterien nannte ein namentlich nicht genanntes Regierungsmitglied freie Marktwirtschaft, das Eintreten für Demokratie, die Anerkennung der internationalen Verträge, die die Sowjetunion geschlossen hatte, sowie insbesondere die Nichtverbreitung von Atomwaffen. Endgültige Beschlüsse wurden auf die Rückkehr Außenminister Bakers verschoben.

Der niederländische Ministerpräsident Ruud Lubbers hatte am Samstag betont, EG und USA hätten sich darauf geeinigt, sich in Fragen der Anerkennung der ehemaligen Sowjetrepubliken abzustimmen. Entscheidungen über die Anerkennung einzelner Republiken würden aber wahrscheinlich noch nicht auf der Sitzung des EG-Ministerrats am Montag getroffen.

Die größte Zurückhaltung erlegte sich China auf. Aus Peking hieß es, die Republiken sollten vorerst nicht als unabhängige Staaten anerkannt werden. „Wir warten ab, bis die Situation sich geklärt hat“, sagte ein hochrangiger Funktionär des chinesischen Außenministeriums. Die Umwälzungen in der früheren UdSSR seien erst an ihrem Anfang. Sorge bereitet auch Peking insbesondere das verbliebene nukleare Arsenal: „Mindestens vier Republiken verfügen über Atomwaffen, und wir sind sehr beunruhigt.“

Der historischen Situation angemessen, meldete sich auch der Vatikan gestern zu Wort. Kardinal Agostino Casaroli, früher „Außenminister“ des Papstes, über die „historische Figur“ Gorbatschows: „Er ist noch jung, er kann noch nicht ins Museum abgeschoben werden.“