Alma-Ata: Ende der Sowjetunion besiegelt
: Das Staatsbegräbnis

■ Mit der Gründung einer unabhängigen Staatengemeinschaft wurde am Wochenende in der kasachischen Hauptstadt Alma Ata das Ende der Sowjetunion besiegelt und Präsident...

Das Staatsbegräbnis Mit der Gründung einer unabhängigen Staatengemeinschaft wurde am Wochenende in der kasachischen Hauptstadt Alma Ata das Ende der Sowjetunion besiegelt und Präsident Gorbatschow entmachtet. Elf der ehemals 15 Sowjetrepubliken unterschrieben das Abkommen — nicht mit von der Partie sind die baltischen Republiken und Georgien.

In der kasachischen Hauptstadt Alma-Ata hat das Ringen um die Existenz der Sowjetunion ein vorübergehend friedliches Ende genommen. Elf Republikchefs gründeten am Wochenende in Alma-Ata eine Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS).

Aus den Trümmern des Sowjetreiches erhebt sich eine Staatengemeinschaft auf freiwilliger Basis, deren Mitglieder alle vollwertige Subjekte des Völkerrechts sein werden. Das Protokoll schreibt die grundsätzliche Gleichstellung aller Unterzeichnerstaaten fest. Außer den drei baltischen Staaten, die ihren Weg nach Europa antreten wollen, und der Kaukasusrepublik Georgien sind alle ehemaligen Sowjetrepubliken mit von der Partie. Wegen der Verletzung der Menschenrechte, heißt es offen in russischen Regierungskreisen, sperre sich Jelzin gegen eine Mitgliedschaft Georgiens in der neuen Staatengemeinschaft. Präsident Gamsachurdijas Umgang mit der Opposition ist rigoros. Erst am Sonntag sind in Tbilissi bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Gamsachurdija-Anhängern und Mitgliedern der Nationalgarde zahlreiche Menschen getötet und verletzt worden. Die Regierungsgegner werfen Gamsachurdija diktatorische Ambitionen vor und beschuldigen ihn, den Reformprozeß in Georgien zu lähmen.

Das Abkommen tritt mit der Ratifizierung durch die Parlamente der neuen Staaten in Kraft. Das Dokument beschränkt sich zunächst auf globale Willenserklärungen: Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, die Anerkennung des territorialen Status quo und das unveräußerliche Recht auf Selbstbestimmung. Ein Sonderpassus regelt den Umgang mit den Altlasten des sowjetischen Nukleararsenals. Das Protokoll über die Nuklearwaffen unterzeichneten nur jene Republiken, in denen atomares Potential lagert, die Ukraine, Rußland, Weißrußland und Kasachstan. Am Ende der Pressekonferenz verlas der Präsident Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, das Sonderabkommen. Es sieht die Vernichtung aller Nuklearwaffen vor, bis dahin dient es der Verteidigung aller Signatarstaaten. Bis zu seiner Vernichtung in der Ukraine und Weißrußland, die gänzlich auf Atomwaffen verzichten wollen, entscheidet der Präsident Rußlands nach Übereinkunft mit den anderen drei Republiken über den Einsatz. Kasachstan, das sich weigert, sein Nuklearpotential abzubauen, solange die Russische Föderation (RSFSR) noch im Besitz desselben bleibt, wurde in dem Text nicht namentlich genannt. Bis zur letzten Minute muß das Abkommen umstritten gewesen sein. Das kasachische Verhalten zeugt von größtem Mißtrauen gegenüber Rußland und seinem neuen Präsidenten Jelzin. Im Vorfeld des Gemeinschaftsabkommens hatte es eine Reihe von Unstimmigkeiten auch hinsichtlich des Grenzverlaufes zwischen der RSFSR und Kasachstan gegeben. Mehrere Millionen Russen leben im industrialisierten Norden der asiatischen Republik. Der neue Vertrag hebt jedoch ausdrücklich hervor, daß keiner der Signatarstaaten einem anderen gegenüber territoriale Ansprüche erheben darf. Der großzügige Gönner, eine unrussische Geste, ist dabei Boris Jelzin. Er verzichtet nicht nur auf die nördlichen Gebiete Kasachstans, auch die Krim geht endgültig an die Ukraine verloren.

Auch wenn dieses Abkommen im Kern den guten Willen der Teilnehmer unterstreicht, treten in Detailfragen eine Menge von ungeklärten Problemen auf, die alle in Sonderabkommen noch erarbeitet werden müssen. Heftigst umstritten war die weitere Verwendung des nichtnuklearen Militärpotentials. Die Ukraine erhebt Ansprüche und weicht nicht von ihrer Forderung nach einer eigenen Armee ab. Die Unterzeichnung eines solchen Abkommens ist für den 30. Dezember vorgesehen. Ein weiteres Zeichen des Mißtrauens gegenüber Rußland und dem alten Zentrum war die Verweigerung der elf, den sowjetischen Verteidigungsminister Schaposchnikow als Oberkommandierenden der gemeinsamen Streitkräfte des „Commonwealth“ zu bestätigen. Die Kriegsflotte im Kaspischen Meer beansprucht die Südrepublik Aserbaidschan, die sich mit ihrem Nachbarn Armenien in einem kriegsähnlichen Zustand befindet. Gemeinsam mit der Ukraine hegt Aserbaidschan größte Bedenken gegenüber dem Ziel, alle Streitkräfte einem koordinierten Kommando zu unterstellen.

Besonders der Ukrainer Leonid Krawtschuk tat sich nach der Unterzeichnung als rigoroser Verfechter staatlicher Souveränität hervor. Noch vor einem Jahr war er Moskaus Statthalter in Kiew. Unter dem Druck der heimischen nationalen Lobby suchte er sich bei jeder Gelegenheit in Alma-Ata zu profilieren. Ginge es nach ihm, würde es neben der nuklearen Entsorgung keine weiteren Koordinationen geben. Das läßt für die zukünftige Rolle und Effektivität der „Gemeinschaft“ keine rosigen Aussichten zu. Dennoch soll ein Staatsrat, dem Vertreter der einzelnen Staaten angehören werden, Fragen von gemeinsamem Interesse klären. In allernächster Zukunft wird es dieses Gremium hauptsächlich mit der Aufteilung des ehemaligen Unionseigentums zu tun haben. So entscheidende Belange wie die Grenzkontrolle der Gemeinschaft wurde ebenfalls einer zukünftigen Klärung anheimgestellt. Jelzin schlug dafür die Einrichtung eines eigenen Komitees vor. Doch Krawtschuk unterbrach ihn mit den Worten: „Das ist ein russisches Komitee“, die Ukraine werde ihre Grenzen selbst bewachen. Sollte sich Rußland auf seine eigenen Grenzen zurückziehen, hätten die asiatischen Republiken kaum Kräfte, um ihr Territorium bewachen zu lassen. Es stünde allen offen.

Noch können die Bürger des neuen Commonwealth, der keine gemeinsame Staatsbürgerschaft vorsieht, visafrei zwischen den Staaten hin- und herreisen. Welche Rolle allerdings die Grenzen zwischen ihnen spielen werden, ob sie bewacht werden sollen oder lediglich Zollposten errichtet werden, blieb soweit offen. Vorstellungen darüber dürften höchst kontrovers sein.

Die Vertragsparteien klammerten wirtschaftliche Angelegenheiten aus den Verhandlungen aus, obwohl die Gemeinschaft ja gerade die negativen Auswirkungen des Zerfalls der UdSSR in diesem Bereich lindern sollte. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen in den neuen Staaten über den Reformweg. Die ökonomische Entwicklung — ohnehin schon ungleich während der Sowjetherrschaft — wird noch weiter auseinanderdriften. Das Commonwealth — anders allerdings als die flügge werdenden Staaten des Britischen Empires — scheint daher nur eine Übergangslösung von nicht langwährender Haltbarkeit zu sein. Während die Ukraine und Weißrußland dem Beispiel der baltischen Staaten folgen und den Anschluß an Europa und die EG suchen, wird sich der asiatische Raum noch einmal zweiteilen. Aserbaidschan und Usbekistan drängt es zur Türkei, Kirgistan zieht es nach Fernost. Schon jetzt pflegt es gute Beziehungen zu Japan und Südkorea. Dazwischen steht der Rumpf Rußland, der sich noch mit seinen eigenen Minderheiten herumschlagen muß. Ob es ihm gelingt, die Brücke zwischen Europa und Asien zu werden, ist mehr als zweifelhaft. Hinzu kommt noch das Problem der 25 Millionen Russen in der Altunion. Eine Doppelstaatsbürgerschaft will man diskutieren, doch das wird dauern. Jelzin muß mit patriotischen Widerständen rechnen. Klaus-Helge Donath, Moskau