DER NEUE MENSCH: Eiweiß, das unser Leben verlängern soll
Wonach sich ungezählte Lebenshungrige sehnen – für die Taufliege ist es bereits Realität: ihre Daseinsspanne läßt sich künstlich um 40 Prozent ausdehnen. Im sogenannten EF-Eiweiß, das den Alterungsprozeß der Fliegen aufhält, sehen Biologen der Universität Basel womöglich den Schlüssel zu mehr Lebensjahren. Der Schweizer Sandoz-Konzern hofft, daß auch seine Labormäuse durch das EF-Eiweiß langsamer altern – und durch ein neues Präparat vielleicht ebenso der Mensch. ■ VON MATHIAS BRAUCHBAR
Kann man das Leben eines Organismus durch gentechnische Methoden künstlich verlängern? Man kann. Wenigstens bei der Taufliege. In einem spektakulären Experiment ist es Forschern des Biozentrums der Universität Basel gelungen, das Fliegenleben um 40 Prozent zu verlängern. Jetzt wird geprüft, ob der gentechnische Eingriff auch bei Mäusen wirkt. Resultate sind frühestens in zwei Jahren in Sicht. Ob das Experiment auch Auswirkungen auf das Altern der Menschen hat, ist noch offen. Spekuliert wird allerdings über Medikamente, die den körperlichen Verfall verlangsamen sollen.
Altern ist keine Krankheit, Altern ist Schicksal. Ab 35 wird das Gewebe allmählich schlaff, die Haut welkt, Bewegungen fallen immer schwerer. Weshalb das so ist, weiß niemand so recht. Altern ist ein umfassendes körperliches und psychisches Geschehen. Nach und nach gehen Millionen von Nervenzellen unwiederbringlich verloren. Zwischen 30 und 70 Jahren nimmt die Muskelmasse um über ein Viertel ab. Ab 40 wird die Knochensubstanz reduziert, weil die Knochen das Mineral Kalzium schlechter aufnehmen können. Die Pumpleistung des Herzens sinkt deutlich, und selbst Abwehrkräfte des Immunsystems bleiben vom Altern nicht verschont: Dessen Leistung kann nämlich um bis zu 80 Prozent abnehmen. Deshalb sind alte Menschen auch durch an sich harmlose Grippeviren gefährdet.
Jeder einzelne dieser Alternsvorgänge ist äußerst vielschichtig und hat mehrere Ursachen. In den letzten Jahren haben sich aber zunehmend mehr Forscher zum Ziel gesetzt, diesen Ursachen auf die Schliche zu kommen. Dabei zeigt sich immer deutlicher, daß ein komplexes, individuelles Wechselspiel zwischen Umwelteinflüssen und den Eigenschaften des Erbguts den Alterungsprozeß bestimmt. Die Altersuhr tickt in jeder Zelle. Während Röntgen- oder UV-Strahlen und Chemikalien unsere Zellen von außen schädigen, ist der Tod der Zelle bereits im Erbgut vorprogrammiert: Daß wir alt werden, ist auch genetisches Schicksal. Denn jede Zellart verfügt über eine spezifische, festgesetzte Lebensdauer. Deshalb können Mäuse nur vier, Elefanten aber 70 Jahre alt werden.
Untersuchungen des berühmten US-Forschers Leonard Hayflick haben ergeben, daß sich menschliche Zellen höchstens fünfzigmal teilen. Danach ist Schluß. Daraus läßt sich auf die maximale Lebensdauer des Menschen von etwa 120 Jahren schließen. „Altern ist nicht nur wie das Rosten einer Maschine, bei der der Rost an allen Ecken und Enden ansetzt“, meint Walter Gehring, Professor für Entwicklungsbiologie am Biozentrum der Universität Basel. „Wir glauben vielmehr, daß in uns eine Art Chronometer steckt, der unsere Lebensspanne mißt und begrenzt. Für uns Wissenschafter stellt sich deshalb die Frage, wo und wie diese Altersuhr tickt.“ Nach der Programmtheorie wird die Lebensdauer einer Zelle durch spezielle Gene bestimmt. Sie besitzen einen Zeitschalter, der durch einen ungeklärten Mechanismus betätigt wird, wenn es das Programm befiehlt. Damit beabsichtigt die Natur anscheinend, den höheren Lebewesen ein optimales Lebensalter für das Überleben der Tierart zuzuweisen.
Nicht langsam senil werden, sondern die gesunde Phase verlängern
Eines dieser Altersgene ist das Gen für das sogenannte EF-Eiweiß (Elongation-Factor 1). Junge Zellen besitzen sehr viel von diesem Eiweiß, denn es spielt im Aufbau aller Eiweiße eine zentrale Rolle. Amerikanische Wissenschaftler fanden heraus, daß bei jungen Tieren viel EF-Eiweiß gebildet wird, bei alten hingegen sehr wenig. Im Verlaufe des Lebens einer geschlüpften Fliege etwa nimmt die Menge EF-Eiweißes in den Zellen kontinuierlich ab. In der Folge wird es für den Körper immer schwieriger, die lebensnotwendigen Eiweiße und Zellen zu erneuern. „Und dann fängt es an, in allen Körperorganen schiefzugehen. Das ist das, was wir als Altern bezeichnen“, erklärt Gehring.
Was geschieht aber, wenn die zwangsläufig sinkende Erzeugung des EF-Eiweißes verhindert wird? Werden die Fliegen dann älter? Ja. In einem aufsehenerregenden Experiment unter der Leitung von Walter Gehring haben die Basler Forscher bewiesen, daß sich das Fliegenleben auf gentechnischem Weg verlängern läßt. Die EF-Produktion hielten die Basler Forscher aufrecht, indem sie ein zusätzliches Gen für dieses zentrale Eiweiß in die Keimbahn von Taufliegen schleusten. Vor das Gen war wiederum ein temperaturabhängiger Schalter eingebaut. Auf diese Weise hatten die Forscher die Kontrolle über die Produktion des EF-Eiweißes in den transgenen Fliegen. Ließ man sie nämlich bei 29.5 Grad Celsius statt bei 25 Grad Celsius leben, so war das eingeschleuste Gen aktiv und stellte große Mengen des EF-Eiweißes her. Die Wirkung auf das Alter der Fliegen blieb nicht aus: Die gentechnisch veränderten Fliegen leben bei 29.5 Grad Celsius um 40 Prozent länger als ihre – bei gleicher Temperatur gehaltenen – natürlichen Verwandten.
Versuchsleiter Gehring: „Das Interessante dabei ist, daß die Fliegen nicht einfach langsam senil werden, sondern daß wir die gesunde Phase verlängern können.“ Mit anderen Worten: Die kleinen, wenige Millimeter großen Fruchtfliegen werden nicht länger alt, sondern bleiben länger jung. Für Gehring steht deshalb fest: „Dieses Eiweiß könnte einen der wenigen Schlüsselfaktoren im Alterungsprozeß darstellen.“
Die Forschung geht weiter. Daß das Experiment funktionieren würde, hatte Gehring eigentlich nicht so recht geglaubt. Als es dann doch klappte, staunte nicht nur er: Während Monaten sah er sich von Journalisten bestürmt. Fernsehteams tauchten scharenweise im publizitätsscheuen Biozentrum auf und wollten die „Methusalem-Fliegen“ filmen, wollten wissen, ob das Experiment auch bei Menschen möglich sei, ob er, Gehring, den Traum vom ewigen Leben verwirklichen könne. „Das Experiment wurde sehr unterschiedlich aufgenommen“, sagt er. „In Deutschland wurde es als sehr negativ und teilweise als höchst unmoralisch gewertet, während man in Frankreich sehr erfreut schien, daß nun die theoretische Möglichkeit besteht, länger jung zu bleiben.“ Doch von solchen Spekulationen hält Gehring nicht viel. Ob das Experiment für die Menschen irgendwelche Bedeutung habe, sei noch völlig offen. Man weiß noch nicht einmal, ob bei Säugetieren derselbe Alterungsmechanismus wie bei der Fliege vorliege.
Experimente mit Mäusen sind bereits angelaufen. Das EF- Gen wurde in befruchtete Eizellen eingeschleust und die manipulierten Zellen in der Folge von einer „Leih-Mäusemutter“ ausgetragen. Diese Arbeiten fanden allerdings nicht im Biozentrum, sondern beim Basler Pharmakonzern Sandoz statt, weil am Biozentrum niemand Erfahrungen mit dem Einschleusen von Genen in Mäuse hat. Wenn der Versuch geklappt hat, sollten die manipulierten Mäuse das ganze Leben über große Mengen an EF-Eiweiß herstellen. „Wir können allerdings noch keine Aussagen machen, ob alles so funktioniert, wie wir es uns vorstellen“, betont der Sandoz-Forscher Kurt Bürki. „Wir müssen erst herausfinden, ob das Gen in den Mäusen überhaupt wirksam wird.“ Wenn alles gutgeht, erwarten die Basler Forscher erste Ergebnisse in zwei Jahren.
Während Grundlagenforscher nach den biologischen Ursachen des Alterns suchen, beginnen andere Wissenschaftler bereits mit der praktischen Anwendung der neugewonnenen Erkenntnis. Amerikanische Pharmakologen suchen bereits nach Substanzen, die das schicksalhafte Abfallen der EF- Produktion bei Fliegen aufhalten könnte; wohl mit dem Hintergedanken, diese Substanzen könnten auch bei Menschen wirken. „Wenn es stimmt, daß beim Altern gewisse Gene nach und nach ausgeschaltet werden, so ist es durchaus denkbar, die Genaktivität medikamentös hoch zu halten“, meint Gehring. Die Suche gilt Substanzen, welche die ominösen Zeitschalter blockieren könnten; jene Zeitschalter also, die den vorprogrammierten Alterungsprozeß in den Zellen einleiten sollen. Doch von diesen hat man bisher keine Spur, und so gleicht die Suche nach den blockierenden Substanzen dem Fischen im trüben. Gelänge es, solche Substanzen zu finden, so würde das Leben dadurch jedoch kaum verlängert. Der Alterungsprozeß gewisser Organe könnte aber gebremst werden. „Es wäre schön“, meint Gehring, „wenn man vielleicht medikamentös die Gesundheitsphase verlängern könnte.“ Nicht länger, sondern länger besser leben ist also das Ziel. Ähnlich spekuliert auch Kurt Bürki. Für ihn stößt diese Forschung möglicherweise auch die Türen zu neuen Therapien auf: Körperzellen, die früher als andere altern, könnten dereinst in ihrem Alterungsprozeß medikamentös beeinflußt werden. Dies treffe zum Beispiel auf Nerven- oder Hirnzellen zu, sagt er. Den in einer ergrauenden Gesellschaft immer häufiger auftretenden Altersleiden wie Parkinson oder Alzheimer könnte auf diese Weise vielleicht einmal vorgebeugt werden.
Über 120 Jahre hinaus verlängert kein Medikament das menschliche Leben
„Solche Medikamente wären aber nichts fundamental Neues“, betont Gehring. „Schon indem wir Vitaminpräparate schlucken, greifen wir lebensverlängernd in den Stoffwechsel ein. Andere essen viel Gemüse und bewirken dasselbe. Tatsächlich tragen bereits einfache Lebensregeln wesentlich dazu bei, auch im Alter frisch und gesund zu bleiben. Die vorsorgende Medizin hat sie längst entdeckt: Gesundes Essen, körperliches und geistiges Training zögern den altersbedingten Verlust an Lebensqualität beträchtlich hinaus. Dem könnten Medikamente wohl nur wenig zufügen.
Trotzdem könnte die Erforschung der zellulären Ursachen des Alterns zu den ersten wirksamen Medikamenten gegen das Altern führen. Denn bisher konnte von keinem einzigen Geriatrikum bewiesen werden, daß es dem Alterungsprozeß vorbeugen kann. Doch, wie gesagt, Altern ist keine Krankheit, es ist Schicksal. Die meisten Mediziner, die sich mit dem Alterungsprozeß befassen, halten es deshalb für unsinnig, das Altern mit Medikamenten zu bekämpfen. Den sagenhaften Jungbrunnen, in den greise Menschen eintauchen, um ihre jugendliche Frische wiederzuerlangen, hat Walter Gehring mit seinem Experiment jedenfalls nicht entdeckt. An der festgesetzten Altersgrenze von 120 Jahren für den Menschen vermag auch die Gentechnik nicht zu rütteln.
Mathias Brauchbar hat Philosophie und Zellbiologie studiert und arbeitet als Wissenschaftsjournalist für Schweizer Zeitungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen