Kroatiens Wirtschaft steht vor dem Kollaps

Das Land ist weitgehend zerstört, die Verkehrsverbindungen unterbrochen, die Produktion erlahmt/ Für die Menschen wird das Überleben zur Kunst/ Die Hoffnung auf einen Industriestaat ist dahin  ■ Aus Zagreb Gerd Busse

Mit einer Überraschung warten derzeit die zahlreichen Schwarzhändler im Zentrum Zagrebs auf. Wo vor wenigen Wochen noch 50 jugoslawische Dinar geboten wurden, sind es jetzt nur noch 42 Dinar, die man für die harte „Deutschmark“ bekommt. Was zunächst wie eine wundersame Erholung der vom Krieg im eigenen Land schwer angeschlagenen Wirtschaft Kroatiens erscheint, spiegelt jedoch den Niedergang des Lebensstandards wider und ist vielleicht sogar der Vorbote eines wirtschaftlichen Kollapses. Mit einem Minimumlohn von etwa 100 Mark bei einem rapiden Anstieg der Lebenshaltungskosten sind immer mehr Menschen darauf angewiesen, ihre letzten oft mühsam erwirtschafteten Devisenreserven gegen Dinar einzutauschen. Nur so können sie sich bis zum Monatsersten finanziell wenigstens halbwegs über Wasser halten.

Die Läden und Geschäfte in der Hauptstadt bieten ein ähnlich verzerrtes Bild des tatsächlichen Zustandes der kroatischen Wirtschaft. Die Regale und Kühltruhen sind voll; bis auf einige Artikel, von denen man weiß, daß ihre Produktionsstätten zerstört worden sind, ist alles zu bekommen: Brot, Fleisch, Gemüse, ja sogar Computer oder italienische Hemden. Doch die Einkaufskörbe sind leer, denn niemand kann sich mehr als das Nötigste leisten.

Das Überleben war in Koratien für die meisten Menschen niemals leicht — inzwischen ist es zu einer wahren Kunst geworden. Während die Löhne und Gehälter bei denen, die im staatlichen Sektor beschäftigt sind, auf dem Stand des letzten Jahres eingefroren wurden, schreitet der Verfall des Dinars unaufhörlich voran. In den letzten zwölf Monaten betrug die Geldentwertung des Dinars rund 800 Prozent. Bei einem Durchschnittsverdienst von 10.000 Dinar standen bei Jahresfrist umgerechnet etwa 1.400 Mark zur Verfügung, jetzt sind es gerade noch 240 Mark. Eine Familie läßt sich allein davon nicht mehr ernähren, selbst wenn beide Partner berufstätig sind. Dies ist jedoch immer seltener der Fall: der nach den Wahlen im letzten Jahr in Angriff genommene ökonomische Umbau der Gesellschaft hat eine Spirale der Arbeitsplatzvernichtung in Gang gesetzt, die durch den Krieg drastisch beschleunigt wurde. Immer mehr Beschäftigte der zuvor staatlichen Firmen und Einrichtungen haben im Zuge von Rationalisierungen oder Betriebsschließungen ihre Arbeit verloren oder wurden auf Kurzarbeit Null gesetzt. Wer kann, sucht sich eine Nebenbeschäftigung, vorzugsweise schwarz und in harter Währung entlohnt. Gute Chancen besitzt, wer etwas gelernt hat: TechnikerInnen, HandwerkerInnen oder IngenieurInnen. Da Fachkräfte rar sind, können sie für ihre Arbeit eine Entlohnung verlangen, die selbst nach westlichen Maßstäben stolz ist.

Mit Bangen wird der Wintereinbruch erwartet. Zvonimir Baletic, Minister ohne Portefeuille im Kabinett Tudjman und zuständig für die Außenwirtschaftsbeziehungen Kroatiens, hofft auf verstärkte internationale Hilfe. Zwar glaubt er nicht an einen Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung, doch wie sich die Lage bei einer Fortführung des Krieges entwickeln wird, wagt auch er sich nicht auszumalen. Die wirtschaftliche Situation wird mit jedem Tag bedrohlicher. Die Industrieproduktion ist auf die Hälfte des Vorkriegsstands zurückgegangen; die Exporte sind um 40 Prozent rückläufig. Die Kriegsschäden an Gebäuden, Industrieanlagen und Kommunikationseinrichtungen in Kroatien belaufen sich schätzungsweise bereits auf 17,5 Milliarden Dollar. Die Infrastruktur funktioniert nur noch notdürftig, teilweise gar nicht mehr: Verkehrswege sind zerstört oder nur noch unter Lebensgefahr passierbar, telefonische Verbindungen zu vielen Landesteilen unterbrochen.

Aus dem Ostteil der Region Slawonien, die als die Kornkammer Kroatiens gilt, ließ die Armee kurz nach der Besetzung Vieh, landwirtschaftlichen Maschinen und schätzungsweise 100.000 Tonnen Weizen in Richtung Serbien abtransportieren. Der Tourismus, einst eine der Haupteinnahmequellen Kroatiens, kam in diesem Jahr aufgrund des militärischen Konflikts fast völlig zum Erliegen: der Verlust für die kroatische Wirtschaft dürfte bei weit über drei Milliarden US-Dollar liegen. Inzwischen sind 600.000 Menschen vor dem Bürgerkrieg in Kroatien geflohen. Sie lassen die bereits vor dem Krieg dramatisch gestiegene Arbeitslosigkeit weiter anschwellen. In der offiziellen Arbeitslosenquote von 18 Prozent sind sie nicht eingerechnet, ebenso wie die steigende Zahl derjenigen, die ihren Arbeitsplatz durch Zerstörung der Produktionsanlagen verloren haben.

„Kroatien hat ökonomisch an drei schweren Lasten zu tragen: die Verteidigungskosten, die Flüchtlinge und die Finanzierung der feindlichen Bundesarmee“, erklärt Minister Baletic. Denn zur wirtschaftlichen Bilanz des Krieges gehören paradoxerweise auch die Kosten, die dem Gegner Serbien durch den Einsatz seiner Bundesarmee entstanden sind. Anders als in der Nachbarrepublik Slowenien ist in Kroatien nämlich noch immer der jugoslawische Dinar offizielles Zahlungsmittel. Der unitaristischen Struktur des ehemaligen Jugoslawien entsprechend, wurde die inflationsanfällige Währung zentral in Belgrad gedruckt. Und da auch Serbien wirtschaftlich am Rande des Bankrotts steht, die hochgerüstete serbientreue Bundesarmee jedoch horrende Summen verschlingt, stehen die Geldpressen in Belgrad nicht mehr still.

In Zagreb wird inzwischen fieberhaft an der Einführung von Notgeld gearbeitet, um nicht vollends in den fatalen inflationären Strudel der unkontrollierten Geldproduktion hineingerissen zu werden. In naher Zukunft soll dann eine eigene Währung eingeführt werden: die „Kruna“, die kroatische „Krone“. Doch die Pläne kommen spät. Die Führung in Zagreb macht in der Wirtschafts- und Finanzpolitik einen ebenso konzeptionslosen Eindruck wie in der Verteidigungspolitik. Der in Machtfülle und Selbstgefälligkeit schwelgende Präsident Tudjman glaubte bis vor kurzem es nicht einmal nötig zu haben, bei der wirtschaftlichen Umstrukturierung des Landes Expertenmeinungen einzuholen. Statt auf Analysen setzte er lieber auf nationalistische Parolen und den guten Willen seiner Landsleute. Gesetzlich und sozialpolitisch abgefedert wurde die von oben eingeführte freie Marktwirtschaft so gut wie gar nicht. Die Folge: es blüht ein ungezügelter Manchester-Kapitalismus, der den ohnehin schon Reichen ungeahnte Profite beschert und die Armen ins soziale Aus stößt. Letztes Glanzstück der hilflosen Regierungsappelle etwa ist der Aufruf an private VermieterInnen, nicht länger die horrenden Mieten zu verlangen, die hier mittlerweile üblich sind.

Der Krieg zerstört nicht nur Menschenleben, Gebäude und Kulturdenkmäler, sondern auch die große Hoffnung vieler KroatInnen, in fünf, vielleicht zehn Jahren wirtschaftlich auf dem Niveau des Westens zu sein. Tatsächlich gibt es heute immer weniger Grund zu Optimismus: Das Land, das sich zur Schwelle eines entwickelten Industriestaates vorgearbeitet hatte, wurde auf das Niveau „unterhalb der am wenigstens entwickelten Republiken Jugoslawiens zurückgebombt“, so Minister Zvonimir Baletic. Kroatien steht jetzt auf der Stufe eines Entwicklungslandes.