Noch freie Zimmer im »Russischen Haus«

■ Der Leiter der Außenstelle der russischen Botschaft in Berlin, Igor F. Maximytschew, zu den zukünftigen Aufgaben der Vertretung Unter den Linden/ Kaliningrad als Brücke zwischen Rußland und Deutschland

Der Russe Igor F. Maximytschew ist seit November amtierender Leiter der Außenstelle der russischen Botschaft Unter den Linden. Er kam im Mai 87 als Gesandter in die sowjetische Botschaft nach Ost-Berlin.

taz: Auf dem Dach der ehemaligen sowjetischen Botschaft Unter den Linden weht jetzt die russische Fahne. Welche Staaten werden von hier aus zur Zeit vertreten?

Igor F. Maximytschew: Selbstverständlich die russische Föderation. Wir sind die Außenstelle der Botschaft der russischen Föderation in Bonn. Im Auftrag anderer Teilnehmer der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) vertreten wir auch deren Interessen, aber eben nur im Auftrag. Rußland hat zwar alle diplomatischen Vertretungen im Ausland — alle Botschaften und Konsulate — übernommen. Das bedeutet aber nicht, daß Rußland die Funktion dieses verblichenen Zentrums übernommen hat. Die Entwicklung war so rasant, daß es überhaupt keine andere Wahl gab. Es ist durchaus möglich, daß hier unter diesem Dach noch die Botschaft der Ukraine oder Belorußlands oder Kasachstans entstehen wird.

Wann wird sich das entscheiden?

Über den Modus der anteiligen Finanzierung soll innerhalb der nächsten anderthalb Monate befunden werden. Bis jetzt ist es so, daß die Kosten von der russischen Botschaft getragen werden. Alle Rechtsnachfolger der ehemaligen Sowjetunion haben Anrecht auf einen Teil des Vermögens der Union im Ausland. In Minsk wurde der Auftrag erteilt, die Festellung der Anteile auszuhandeln, aber soweit sind wir noch nicht.

Gibt es schon eine Tendenz, welche Republiken eigene Botschaften eröffnen werden?

Von Belorußland und der Ukraine ist es sicher zu erwarten. Deutschland ist ein zu wichtiger Partner, um sich von Rußland vertreten zu lassen. Von den asiatischen Republiken glaube ich das weniger, vielleicht wird Kasachstan für die asiatischen Republiken die kollektive Vertretung übernehmen. Aber dazu müßte man im Kaffeesatz lesen können (lacht).

Was geschieht mit dem Personal der bisherigen sowjetischen Botschaft, stehen Rationalisierungen an?

Zuerst muß zu Hause im Außenministerium Ordung geschaffen werden. Da stehen ziemlich unangenehme, schmerzhafte Prozesse bevor, ungefähr ein Viertel oder Drittel der Beschäftigten wird Anfang Februar vermutlich freigesetzt werden. Erst danach kommen die Außenvertretungen an die Reihe. Wir üben uns im Moment im Warten.

Wird es in Zukunft eine zentrale Handelsvertretung der GUS geben?

Da bin ich überfragt. Als Schewardnadse zum zweiten Mal Außenminister wurde, setzte er durch, daß das Außenhandelsministerium und die Außenhandelsvertretungen aufgelöst und in die Botschaften eingegliedert werden sollen. In Rußland hat ein Außenwirtschaftskomitee die Rolle des Außenhandelsministeriums übernommen. Wie Sie wissen, führen wir gerade eine Wirtschaftsreform durch, deshalb werden viele Dinge hinausgeschoben. Im Moment existieren die Handelsvertretungen unter dem Dach der Russischen Föderation.

Was bedeutet das für die übrigen Republiken der GUS?

Die Handelsvertetungen übernehmen die Ausführungen aller Anweisungen, die von den GUS-Staaten kommen. Die Situation ist die gleiche wie bei der Auslandsvertretung.

Was wird aus dem Haus der Sowjetischen Kulturen in der Friedrichstraße werden?

Da legen Sie den Finger in eine Wunde (lacht). Das Haus der Sowjetischen Wissenschaft und Kulturen war immer Eigentum des Staates der Sowjetunion. Es wurde verwaltet vom »Verband der Sowjetischen Gesellschaft für Freundschaft mit dem Ausland«. Weil die Sowjetunion nicht mehr existiert, existiert der Verband auch nicht mehr, aber das Haus und die Leute dort existieren weiter (lacht). Wir leben in einer Übergangsperiode. In einer Woche kann das nicht alles geklärt sein. Wir schlagen vor, daß das russische Außenministerium für dieses Haus Sorge tragen wird, das betrifft nicht nur die finanzielle Seite. Das Haus muß in einer neuen politischen und kulturellen Landschaft in Berlin und Rußland seinen Platz finden. Es müssen neue Leute kommen, die die Situation zu Hause kennen, und der Name muß natürlich schnell geändert werden.

Was schwebt Ihnen da vor?

Ich würde dafür plädieren, es in Russisches Haus umzubenennen.

Die übrigen Republiken der GUS werden an dieser Einrichtung also nicht mehr beteiligt sein?

Wieso nicht? Sie sind Mitbesitzer.

Weil es Russisches Haus heißen soll.

Das ist natürlich ein Argument. Aber ein GUS-Haus, das klingt schrecklich (lacht). Es ist klar, daß der größte Teil des Hauses von Rußland geführt wird, daß aber alle Republiken der GUS, die Willens sind, beteiligt werden.

Erwägt die Berliner Außenstelle der russischen Botschaft ein Referat für kulturelle und soziale Fragen für Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion einzurichten?

Malen Sie den Teufel bitte nicht an die Wand. Ich bin sicher, daß unsere Wirtschaftsreform greifen wird, weil es keine andere Möglichkeit gibt. In einem Jahr werden wir klüger sein, vereinbaren dann ein Gespräch.

Wann wird Kaliningrad für den Tourismus geöffnet?

Das ist schon geschehen. Ende August ist bereits der erste Zug von Berlin dorthin gefahren.

Wie will man verhindern, daß die Grundstücke an der kurischen Nehrung von den Deutschen aufgekauft werden?

Vorerst ist es so geregelt, daß der Grund gepachtet werden kann. Die Ausländer können dort noch nichts kaufen, aber das kommt noch.

Macht das Ihnen keine Angst?

(Lacht herzhaft) Ich betrachte Kaliningrad als Brücke zwischen Rußland und Deutschland. Es wäre sehr interessant, wenn wir das voll ausnutzen könnten, weil hier die sentimentalen Bindungen der Deutschen eine große Rolle spielen und es für Rußland eine Art Vorposten im Westen ist. Angst habe ich schon lange nicht mehr.

Kommen wir zum Thema Winterhilfe. Was für Initiativen sind Ihnen aus Berlin für Rußland bekannt?

Es gibt sehr viele Initiativen, von denen wir gar nichts wissen. An uns treten die Leute heran, wenn mit der Verteilung und dem Transport etwas nicht klappt.

Die Hilfsorganisation Cap Anamur hat behauptet, daß 90 Prozent der Hilfsgüter nicht an ihrem Bestimmungsort ankämen.

Das glaube ich nicht. Es ist leider wahr, daß die Form der Verteilung nicht endgültig ausgehandelt ist. Prioriät haben natürlich die sozial Benachteiligten in den Altersheimen Kinderheimen und Krankenhäusern. Selbstverständlich kann dabei etwas untergehen, aber das sind Bruchteile. Vielleicht ist Cap Anamur so zu interpretieren, daß eine alte Frau, die einen Posten Schokolade als Hilfe bekommt, diese auf dem Schwarzmarkt verkauft, um sich davon Brot und Kartoffeln zu holen. Aber das kann man ihr nicht vorhalten. Der Oberbürgermeister von St. Petersburg, Anatoli Sobtschak, hat gesagt, daß ein Teil der Hilfsgüter nicht verteilt, sondern verkauft werden muß, damit die überflüssigen Rubel abgeschöpft werden können und die Leute sich nicht daran gewöhnen, etwas unentgeldlich zu bekommen. Am besten wäre es naürlich, wenn man seine Hilfsgüter in einen Laster packt, selbst hinfährt, an die Tür klopft und sie übergibt. Aber das ist leider nicht immer möglich. Die partnerschaftlichen Beziehungen, die sich anbahnen, müßten mehr genutzt werden. Zwischen dem Nordost-Distrikt von Moskau und Spandau besteht so etwas ja schon. Auch die kirchlichen Kanäle können genutzt werden, weil die Kirche in Deutschland und Rußland eine sehr hohe Autorität genießt.

Wann waren Sie das letzte Mal zu Hause?

Im Oktober, nachdem ich ungefähr zwei Jahre nicht dort war. Es war sehr schwierig. Aber es scheint, daß es jetzt noch schwieriger wird, wo die Preise freigegeben sind. Für die Alten, Kranken, Arbeitslosen und Kinder in den Heimen ist eine Unterstützung sehr wichtig. Aber die arbeitende Bevölkerung wird auch ohne Hilfe überwintern können. Doch wird es sehr schwierig werden. Hoffentlich kommen keine Streiks, das könnte in diesem Winter tödlich sein. Aber die Leute verstehen, daß es keinen anderen Ausweg gibt. Interview: Plutonia Plarre