Im Fadenkreuz der Industrie

Journalisten in den USA: Die schweigenden Diener der Rüstungsindustrie  ■ Von Martin A. Lee

Zur Berichterstattung der US-amerikanischen Medien während des Golfkriegs fiel mir eine Szene in einem Film von den Marx- Brothers ein. Da beugt sich eine Frau, die mit Groucho flirtet, immer näher zu ihm und sagt: „Komm doch näher“, worauf Croucho antwortet: „Wenn ich noch näher käme, stünde wich schon hinter Dir.“

Grouchos Antwort beschreibt präzise das Verhältnis der Presse in den USA zur Regierung während des Golfkriegs. Die mächtigsten Nachrichtenmedien der Vereinigten Staaten standen, sobald der Krieg begann, fest und unerschütterlich hinter der Regierung. Die Wehrlosigkeit der US-Medien gegenüber der Zensur durch das Pentagon liegt darin begründet, daß sie selbst durch die großen Rüstungspartner anteilig finanziert oder gesponsert werden, und sich in einigen Fällen sogar in deren direktem Besitz befinden. Insofern sind alle Nachrichten in den USA tendenziell gefärbt durch die Interessen der großen Anzeigenkunden und Eigentümer, während unabhängige politische Kritik und Meinungen, die den Status quo angreifen, deutlich diskriminiert werden.

Die „National Broadcasting Corporation“ (NBC), einer der drei führenden kommerziellen Fernsehsender der USA, gehört „General Electric“ (GE), einem der größten Vertragspartner der Rüstungsindustrie. GE hatte direkten Anteil an Entwicklung, Herstellung und Wartung aller wichtigen Waffensysteme, die von den USA im Golfkrieg eingesetzt wurden, einschließlich der vielgelobten Patriot- und Tomahawk-Raketen, des Stealthbombers, der B-52- Bomber, der Awacs-(Luftüberwachungs-)Flugzeuge, der Apache- und Cobra-Hubschrauber und des Navstar-Satellitüberwachungssystems.

Nur wenigen Fernsehzuschauern in den USA war allerdings die Interessenlage des Senders bewußt, wenn wieder einmal ein NBC-Korrespondent oder Moderator auf dem Bildschirm die Effektivität der US-Waffen lobte. Fast immer priesen sie dabei die Geräte von General Electric an, des Unternehmens also, bei dem sie selber in Lohn und Brot stehen.

In Chicago gibt es eine „Gesellschaft für Berufsjournalisten“, die für die Einhaltung des professionellen Standards für amerikanische Journalisten kämpft; in ihren Leitlinien des Berufsethos für Journalisten ist niedergelegt, daß alle Medienarbeiter sich vor „offenen und verdeckten Interessenkonflikten“ zu schützen haben. Trotz solcher Bemühungen gibt es unzählige Beispiele, in denen Journalisten über Themen berichtet haben, die in direktem Zusammenhang mit den finanziellen Interessen ihrer Arbeitgeber stehen — wobei dieser Aspekt der „story“ selbstredend nicht erwähnt wird.

Militär, Industrie und Medien: ein Komplex

Die Verbundenheit zwischen GE und NBC erklärt auch, warum Direktoren von NBC nicht mit sehr viel mehr Nachdruck die restriktiven Richtlinien des Pentagon während des Krieges in Frage stellten. Hätte NBC das Pentagon provoziert, hätte der Sender sich ja tatsächlich gegen die ökonomischen Interessen seines Mutter- Unternehmens gestellt — und das hat, wie gesagt, im Laufe der letzten Jahre Verträge in Milliardenhöhe mit dem Pentagon abgeschlossen.

General Electric sponsert zusammen mit anderen Rüstungspartnern auch Nachrichtensendungen von Ted Turners „Cable News Network“ (CNN) und den beiden anderen führenden Kommerzsendern der USA, „Columbia Broadcasting System“ (CBS) und „American Broadcasting Corporation“ (ABC). Und da die Fernsehsender mit nahezu Hundert Prozent ihres Einkommens von ihren Sponsoren abhängen, werden Journalisten nicht gerade dazu angehalten, über Zusammenhänge zu berichten, die ihre Geldgeber nicht im besten Licht erscheinen lassen.

Nicht viel anders geht es auch in dem ohnehin schwachen öffentlichen Rundfunksystem zu — auch dort werden Nachrichten- und politische Hintergrundsendungen von Unternehmen wie GE durch Bürgschaften finanziell gestützt. Die Hauptnachrichtensendung des öffentlichen Fernsehens, die MacNeil/Lehrer News Hour, wird am Leben erhalten durch kräftige Finanzspritzen von AT&T, ebenfalls einem Vertragspartner der Rüstungsindustrie. Außerdem sitzt im Direktorium von fast allen größeren Medienunternehmen immer auch ein Vertreter der „Verteidigungs“-Industrie; damit entsteht ein mächtiger militärisch-industriell-medialer Komplex, der den Journalismus in den Vereinigten Staaten fast zwangsläufig kompromittieren muß.

Beispielsweise schmückt sich der Aufsichtsrat der 'New York Times‘ mit Persönlichkeiten wie dem ehemaligen Außenminister Cyrus Vance, der auch bei „General Dynamics“ im Aufsichtsrat sitzt, einem der größten Rüstungsunternehmen des Landes und immer wieder wichtiger Mediensponsor. Im CBS-Aufsichtsrat ist Harold Brown zu nennen, früher Verteidigungsminister, und ein weiterer ehemaliger Verteidigungsminister, nämlich Robert McNamara, sitzt in der 'Washington Post‘.

Die Unwissenheit der Presse — oder Kritik in zehn Sekunden

Während des Golfkriegs kam 'Newsweek‘, eine „Washington Post Company“-Tochter, mit einem Titelblatt heraus, das den Stealthbomber zeigte. Die Schlagzeile dazu lautete The New Science of War (Die neue Wissenschaft vom Krieg). Die Unterzeile fragte: „High-Tech-Gerät — Wie viele Leben kann es retten?“ Und genau das war die Botschaft: US-Waffen töten nicht, sie retten Leben. Die Ironie der Geschichte wollte, daß diese Ausgabe an dem Tag erschien, als in einem Bunker in Bagdad vierhundert Zivilisten durch amerikanische Bombenangriffe getötet wurden, unter ihnen viele Frauen und Kinder.

Im Laufe des Krieges sendete das amerikanische Fernsehen laufend Fotos von irakischen Zielen im Fadenkreuz der „intelligenten“ Bomben — offenbar, um die Öffentlichkeit für die Geldvergeudung und Korruption vieler Jahre durch Rüstungsindustrie und Pentagon zu entschädigen. Ein ganzer Chor von Fernsehexperten pries Präsident Reagans teuren Rüstungswettlauf der achtziger Jahre. „Es ist doch wirklich gut zu wissen, daß das Geld für das Richtige ausgegeben worden ist“ — so der politische Kommentator des 'Dallas Times Herald‘, Lee Cullum, begeistert in der MacNeil/ Lehrer News Hour.

Nur wenige US-Journalisten waren so unhöflich, die Rolle der Reagan- und Bush-Regierung bei der Aufrüstung und Finanzierung Saddam Husseins zu erwähnen, der lange Zeit ein führender Verbündeter der USA war. Hinweise auf die freundlichen Beziehungen zwischen den USA und dem Irak vor dem Golfkrieg kanzelten die Moderatoren in Diskussionen mit kurzen, scharfen Worten ab. Das gilt auch für Informationen, daß amerikanische Unternehmen offenbar mit Zustimmung des Handelsministeriums Bakterien an ein großes irakisches Forschungszentrum für bakteriologische Kriegsführung verkauft hatten.

Journalisten wagten es nicht, Sponsoren und Eigentümer zu verschrecken. Das aber heißt nichts anderes, als daß im gesamten Medienbereich der USA Selbstzensur herrscht. Als eine beliebte Morgensendung der NBC, die Today Show, vor kurzem einen Beitrag über Konsumentenboykotts zeigte, fehlte darin auffälligerweise der Boykott gegen General Electric (ausgerufen, weil die Firma von der Herstellung nuklearer Waffen profitiert).

Nicht nur NBC, sondern viele andere Sender haben sich geweigert, bezahlte Werbeanzeigen von Infact zu senden, der führenden Gruppe der GE-Boykottkampagne. Der Herausgeber der 'National Boykott News‘, Todd Putnam, appellierte öffentlich an die Today Show, über den GE-Boykott zu berichten. Daraufhin sagte ein Produzent von NBC im privaten Gespräch: „Klar, und am Dienstag such' ich mir dann einen neuen Job.“

Öffentlich jedoch dementieren die Manager von NBC, daß sie ihre

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Sponsoren mit Glacéhandschuhe anfassen. Im Juli 1990 behauptete Steve Friedman, Produzent der NBC-Sendung Nightly News, in einer Sendung des „Financial News Network“, daß der GE-Besitz an seinem Sender keinerlei Konsequenzen für den Inhalt der Nachrichtensendungen habe. Er ging sogar so weit zu behaupten, daß NBC kritischer über General Electric berichte als jeder andere Sender. Als Beispiel zitierte er einen Bericht in Nightly News über die 14-Millionen-Dollar- Strafe, die General Electric wegen des Pentagon-Skandals zahlen mußte.

In diesen Skandal waren viele Vertragspartner des Pentagon verwickelt — durch gefälschte Rechnungen, in denen gewöhnliche Gebrauchsgegenstände mit horrenden Summen zu Buche schlugen (ein Hammer 500 Dollar, eine Klobrille 1.200 Dollar) hatten sie sich einen großen Batzen Steuergelder unrechtmäßig angeeignet. Technisch gesehen hatte Friedman recht. NBCs Nightly News berichtete tatsächlich über die Geldstrafe von General Electric — wie jeder andere Sender auch. Allerdings dauerten die „Berichte“ weniger als zehn Sekunden. Und kein Sender, auch NBC nicht, hatte eigene Reporter zur Untersuchung des Skandals angesetzt: kluge Geschäftspolitik.

Sorge um die Rüstungsindustrie

Auch die Abhängigkeit von offiziellen Quellen hat Konsequenzen für die Berichterstattung. Sie ist auch dann ein Problem, wenn Reporter mit vermeintlichen „Coups“ über das Versagen von Regierung und Militär aufwarten. 1988 zum Beispiel begannen die Medien, über Gesundheits- und Sicherheitsrisiken diverser Atomwaffenfabriken in den USA zu berichten. Plötzlich war die Gefährdung von Dörfern und Städten in der Nähe der Hanford-Atomwaffenfabriken in Washington, Rocky Flats bei Denver (Colorado) und Savannah River in Southcarolina Nachricht des Tages.

Dabei waren die Daten über Gesundheitsrisiken in der Nähe von Atomwaffenfabriken für die Medien seit langem zugänglich. Hätten sie sich die Mühe gemacht, mit wissenschaftlichen Beratern von lokalen Umwelt- und Friedensgruppen zu sprechen, statt wie üblich auf Statements der Bundesbehörden zu warten — die natürlich eine pronukleare Politik verfolgen —, wäre die Geschichte längst schon publik geworden. Typisch hierfür war die Erklärung des 'New York Times‘-Korrespondeten Fox Butterfield auf der ersten Seite seiner Zeitung — 18 Jahre nachdem eine Studie eine besorgniserregende Plutoniumsverseuchung nahe Rocky Flats festgestellt hatte: „Obwohl die Studie damals bereits Aufmerksamkeit erregte“, schrieb Butterfield, „ist die Besorgnis der Bevölkerung in der Region um Rocky Flats erst im Laufe der letzten zwei oder drei Jahre allgemein geworden.“

Jahrelang hatten Butterfield und die 'Times‘ ignoriert, was dort vor sich ging: wissenschaftliche Studien, Dokumentationen und öffentliche Protesten, die ihren Höhepunkt in vielen Demonstrationen von mehreren zehntausend Teilnehmern fanden — alles Proteste gegen die radioaktiven Emissionen der Fabrik. Gewaltfreie Aktionen des zivilen Ungehorsams am Gelände von Rocky Flats hatten nicht selten mit Hunderten von Verhaftungen geendet. Und dennoch zeigte die Schlagzeile über Butterfields Artikel, daß die Zeitung offenbar immer noch mehr Angst um die Zukunft der Atomwaffenfabrik hat als um die Gesundheit der Bevölkerung: „Konflikt um Abfälle gefährdet Rüstungsunternehmen“.

Im übrigen muß man sich fragen, woher die plötzliche Sorge der Medien über die Atomwaffenfabriken am Ende der achtziger Jahre stammt, und warum immer neue Schlagzeilen auf Probleme mit den nuklearen Einrichtungen hinweisen. Die Antwort lautet, daß sie darin der Politik des Energieministeriums folgen, das seit kurzem mehr und mehr Daten freigibt — nach Jahren des Mißbrauchs und Verschweigens. Indem sie zerknirschte Energiebürokraten präsentieren, statt sich zu fragen, woher dieser plötzliche Gesinnungswandel kommt, erweisen sich amerikanische Journalisten einmal mehr als Hofstenographen denn als wirklich kritische, aggressiv recherchierende Reporter. Tatsächlich aber möchte das Energieministerium die Fabriken modernisieren. Dann können sie die nächste Generation nuklearer Waffen produzieren — eine Generation, die von den amerikanisch-sowjetischen Vereinbarungen nicht betroffen sind.

Die beiden größten Umweltverschmutzer in den USA sind das Militär und die Großindustrie, darunter auch und vor allem General Electric. Nach Auskunft der amerikanischen Umweltschutz-Agency ist GE für mehr „Superfund“-Giftmüllareale verantwortlich als irgendein anderes Unternehmen. (Superfund-Arenale sind die am stärksten giftverschmutzten Gelände und heißen so, weil für ihre Säuberung Bundesmittel beansprucht werden dürfen.)

Es braucht wohl kaum hervorgehoben zu werden, daß die NBC sich in letzter Zeit nicht gerade mit Kreuzzügen gegen Umweltverschmutzung hervorgetan hat, die von ihrer eigenen Muttergesellschaft oder dem Pentagon, ihrem Hauptauftraggeber, verursacht worden sind.

Ein früherer Mitarbeiter von 'NBC-News‘ beschreibt das Dilemma so: „Das gesamte Konzept der Pressefreiheit wird widersprüchlich, wenn die Leute, denen die Medien gehören, dieselben Leute sind, über die berichtet werden müßte. Sofort ergeben sich politische Grenzen, an die man sich halten muß. Und letztlich wird eben nicht geduldet, daß man diese Grenzen überschreitet.“

Martin A. Lee ist Herausgeber der Zeitschrift 'Extra!‘, Organ der in New York ansässigen Medienkontrollorganisation FAIR (Fairness and Accuracy In Reporting). Er hat außerdem mitgearbeitet an dem Buch Unreliable Sources: A Guide to Detecting Bias in News Media.