Grüne: „Politrambos“ an der Macht

Landesvorstandssprecherin der Grünen im Saarland legte Amt nieder/ Hinter endlosen Fundi-Realo-Debatten verbergen sich übliche Machtkämpfe/ Kein Ausweg aus der Dauermisere  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Der kleine, immer dicker werdende „König des Saarlandes“ (Grüne) kann sich seit dem triumphalen Sieg seiner Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen 1990 beruhigt als unangefochtener Alleinherrscher auf dem Ministerpräsidentensessel räkeln — trotz aller Skandale und Skandälchen, die in den letzten Monaten an der Saar für Schlagzeilen sorgten: Die saarländischen Christdemokraten treten im Reich des roten Oskar Lafontaine seit Jahr und Tag auf der Stelle.

Und bei den Grünen, die sich nach dem Debakel bei der letzten Landtagswahl darauf verständigten, bei der nächsten Wahlschlacht das rot- grüne Banner zu hissen, fand kurz vor dem Jahreswechsel ein Hauen und Stechen von selbstmörderischen Ausmaßen statt: „Die Öko-Partei an der Saar ist dabei, sich selbst zu eliminieren.“

Das jedenfalls behauptet Christa Jenal (37), Ex- Sprecherin des Landesvorstandes der saarländischen Grünen. Kurz vor Weihnachten warf sie das Handtuch: „Ich brauche das Vorstandsamt nicht, denn ich habe einen Beruf. Und die Grünen, die im Landesvorstand die Macht an sich gerissen haben, brauchen offenbar mich nicht mehr.“ Haudegen, Politrambos und Durchmarschierer“, so Jenal in ihrem „Abschiedsbrief“ an den verbliebenen Rumpfvorstand, würden inzwischen auch bei den Grünen im kleinsten Flächenland zwischen Frankreich, Luxemburg und Rheinland-Pfalz Karriere machen: „Mit meinem Ausscheiden aus dem Landesvorstand ziehe ich die Konsequenz aus den für mich unhaltbaren Zuständen, dem machistischen Politikstil und den verkrusteten, pseudodemokratischen Vorgehenswesen der anderen Landesvorstandsmitglieder.“ Ihr Austritt sei ein Akt des „gewaltlosen Widerstands“.

Die im Saarland und in der Pfalz bekannte Friedenskämpferin (Ramstein/Giftgas), Gewerkschafterin und Ex-Sozialdemokratin will jetzt „die Basis mobilisieren“: „Die Orts- und Kreisverbände sind gefordert. Noch haben wir drei Jahre Zeit bis zu den nächsten Landtagswahlen, um diesen Landesvorstand zur Raison zu bringen und politisch wieder in die Vorhand zu kommen.“ Jenal selbst will ein ihr angetragenes Vorstandsamt im Kreisverband St. Johann annehmen.

Auf zehn Seiten hat die in GEW- Kreisen geschätzte Gymnasiallehrerin Jenal ihren Ex-Kollegen die Leviten gelesen: Die Basis für eine „vernunftorientierte Politik“ sei vor allem von den Vorstandsmitgliedern Hubert Ulrich und Jürgen Nieser „systematisch zerstört“ worden. „Politmachos“ nennt Jenal die beiden Grünen. Nieser habe es verstanden, alle wichtigen Positionen im Landesverband mit seinen „Gefolgsleuten“ aus dem Kreisverband Saarlouis zu besetzen. Als Ulrich und Nieser ihrer Sprecherin Jenal im Juni einen„Pressesprecher“ nach eigener Wahl vor die Nase setzten, kam es erstmals zum offenen Konflikt. Der neue „Pressesprecher“ Gabriel Mahren kündigte Christa Jenal an, daß er in Zukunft nur noch Presseerklärungen für Hubert Ulrich schreiben würde — wenn sie sich nicht „anpasse“.

Jenal „paßte“ sich nicht „an“. „Weil ich mich nach meiner Wahl in den Landesvorstand nicht als braves Anhängsel der grünen Politmachos erwiesen habe, wurde mein Eintreten gegen Ämterhäufung und machistisches Ausgrenzen von Frauen dann als ,Zerstörung der grünen Harmonie‘ interpretiert.“ Der Riß im Landesvorstand der saarländischen Grünen wurde immer tiefer. Man beharkte sich auf Landesversammlungen und Vorstandssitzungen, stritt sich via Lokalpresse und warf sich wechselseitig „Verrat an den Zielen grüner Politik“ vor. Im kleinsten Landesverband der Grünen mit 656 eingeschriebenen Mitgliedern wurden monatelang Redeschlachten geschlagen, für die sich anderswo bei den Grünen nur noch ausgewiesene Masochisten interessieren: Noch immer, so Nieser auf Nachfrage, gehe es an der Saar um die klassische Auseinandersetzung zwischen Realpolitikern und Fundamentalisten. Er sei „ausgewiesener Realpolitiker“ — und Jenal „eher eine Fundamentalistin“. Daß Nieser und Ulrich die „Fundamentalistin“ monatelang beknieten, für den Landesvorstand zu kandidieren, hält Christa Jenal im nachhinein für „besonders perfide“. Jenal: „Die dachten wohl, ich sei ein braves Alibi-Frauchen?“

Bundesschatzmeister Henry Selzer griff kurz vor dem Jahreswechsel in den Konflikt ein: „Realissimos“ nennt er die beiden „selbsternannten Macher von der Saar“. „Realissimos“, so Selzer, seien Grüne, für die der Begriff „Realpolitik“ nur eine Worthülse sei — „zur Kaschierung der eigenen infantilen Machtkämpfchen“. Der Bundesvorstand, so Selzer weiter, sei „entsetzt über die neue Entwicklung im Landesvorstand der saarländischen Grünen“. Statt der „mehr und mehr selbstgefälligen Politik von Lafontaine“ grüne Alternativen entgegenzusetzen, beschäftigten sich die saarländischen Grünen offenbar nur noch mit sich selbst. Aus eigener Kraft, so der Schatzmeister, seien die Grünen an der Saar nicht mehr in der Lage, eine personelle und organisatorische Erneuerung durchzuführen — „und deshalb wird sich der Bundesvorstand im neuen Jahr um eine schonungslose Bestandsaufnahme bemühen und dem Landesverband gezielte Hilfestellung für den politischen Neuanfang geben“.

„Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche“, konterte Nieser. Selzer war bis zu seiner Berufung in den Bundesvorstand Landesvorstandssprecher der saarländischen Grünen. Unter der Ägide Selzers, so Nieser, seien die Grünen in die größte Katastrophe ihrer Geschichte geschliddert. Und deshalb wolle man an der Saar auch keine „guten Onkels aus Bonn“ sehen. Eher will man sich Hilfe bei anderen Landesverbänden holen, denn die, so Nieser, dürften auch kein Interesse daran haben, daß der Bundesvorstand wie ein „Großinquisitor“ durch die Lande reist. „Wir kriegen das selbst wieder in den Griff.“ Der Abgang der „Fundi-Dame“ Jenal sei keine Katastrophe für den Landesverband.

Christa Jenal zieht sich den von Nieser aufgestellten „Fundi-Schuh“ nicht an. Sie selbst verfüge über ausgezeichnete Kontakte zu mehreren grünen Landesverbänden. Und den Bundesvorstand habe sie schon vor Monatsfrist kontaktiert — „wegen der elenden Querelen im Landesvorstand“. Den Vorwurf der „Mediengeilheit“ (Nieser) läßt sie sich gerne gefallen: „Ich habe begriffen, daß politische Inhalte von glaubwürdigen Personen vermittelt werden müssen. „Ohne im Land bekannte Menschen an der Spitze bleibt man auf den 2,5 Prozent Wählerstimmen bei den letzten Bundestagswahlen sitzen.“

Den schwarzen Peter hält jetzt der Bundesvorstand der Grünen. Wenn der — wie von Selzer angekündigt — in den nächsten Wochen tatsächlich an die Saar reist, trifft er auf einen Rumpf-Landesvorstand in der Wagenburg. Neuwahlen des Landesvorstandes dürften gleichfalls keine Lösung der bringen, denn Niesers Kreisverband Saarlouis stellt inzwischen die Hälfte aller Mitglieder des Landesverbandes. Deshalb spricht einiges dafür, daß die Führung der Bundespartei bei der Vorausberechnung der Wahlchancen für das Saarland wieder 2,5 Prozentpunkte notieren darf — wahrscheinlich weniger. Und der rote Oskar wird eine Bouteille Vin Rouge entkorken und Gott danken, daß er nicht Hans Eichel oder Gerhard Schröder heißt.