Der „dicke Schlußstrich“ war viel zu dünn

In Polen bleiben die Geheimpolizei-Akten geschlossen/ Spitzel gab es in Solidarität und Parlament, Ermittlungen gegen sie nicht/ Olszewski ist für die Öffnung der Akten — doch viele sind gefälscht  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Anna Bogucka-Skowronska (Demokratische Union) ist eine in ganz Polen angesehene Anwältin. Während des Kriegszustandes hat sie zahlreiche Oppositionelle verteidigt, 1989 wurde sie dann auf der Solidarność- Liste in den Senat gewählt. Seit kurzem ist ihr Name noch bekannter geworden. Sie soll, so behauptete der Polizeichef ihrer Heimatstadt Stolp (Slupsk) im Wahlkampf, die ganze Zeit über Spitzel der kommunistischen Geheimpolizei gewesen sein. Der dies behauptet, war selbst Geheimpolizist und sollte vor einem Jahr im Rahmen der Verifizierung deshalb entlassen werden. Daß er es nicht wurde, hat er einem anderen Parlamentsabgeordneten zu verdanken, dem Gegenkandidaten der Senatorin in Slupsk, der zugleich Chef der örtlichen Solidarność ist. Beide Kandidaten wurden bei den Parlamentswahlen gewählt, doch der Polizeichef von Stolp mußte auf Weisung des Innenministeriums seine Anschuldigung zurückziehen. Die Forderung, die Akten der Senatorin offenzulegen, wurde von Innenminister Majewski abgelehnt.

Diesen Grundsatz haben bisher alle Innenminister befolgt. Die Rechtfertigungen waren ähnlich: Innenminister Kozlowski, der unmittelbare Nachfolger General Kiszczaks in der Regierung Mazowiecki wollte einen „Hexensabbath wie in der DDR oder der CSFR“ vermeiden, wie er öffentlich kundtat. Viele der Akten über die „Geheimen Mitarbeiter“, Spitzel und Konfidenten seien gefälscht. Lieber die Täter davonkommen lassen, als einen Unschuldigen ruinieren — so das Motto Kozlowskis. Henryk Majewski, Danziger Nachfolger Kozlowskis in der Regierung Bielecki, drückte es pragmatisch aus: Kein Geheimdienst der Welt gebe seine Agenten preis. Was auch heißt, daß es zumindest in der Frage der Spitzel eine gewisse Kontinuität zwischen altem Sicherheitsdienst (SB) und neuem „Amt für Staatssicherheit“ (UOP) gibt.

Nach dem Abtritt Kiszczaks wurde das Staatssicherheitsamt gesäubert. In die führenden Posten kamen neue Leute, sehr häufig frühere SB-Opfer aus dem Milieu der Pazifistenorganisation „Freiheit und Frieden“ (WiP). Selbst der Sohn des inzwischen abgetretenen Chefs der kommunistischen Gewerkschaften OPZZ, Miodowicz, der als Anarchist bekannt war, wurde Chef der Gegenspionage. Der Stettiner Korrespondent der 'Gazeta Wyborcza‘, früher ebenfalls bei „Freiheit und Frieden“ aktiv, wurde inzwischen Leiter der Analyseabteilung im Rang eines Generals. Kein Zufall: UOP- Chef Andrzej Milczanowski, früher Anwalt und Bürgerrechtler, kommt ebenso aus Stettin wie Vize-Innenminister Jerzy Zimowski.

Auch in den unteren Rängen gab es Massenentlassungen. Allerdings gelang es vielen der früheren SB- Agenten, bei der Polizei in den normalen Dienst zu gelangen. Die Verifizierung, durchgeführt von Abgeordneten und Senatoren der Solidarność, war nur ein Teilerfolg. Völlig offen ist auch, wie viele der angeworbenen SB-Spitzel für ihre Führungsoffiziere weiterarbeiten — außerhalb des Sicherheitsamtes. Während die Namen der festangestellten Agenten frei gehandelt werden, sind die der Spitzel immer noch unter Verschluß. Allerdings ist mit Jan Olszewski nun ein Politiker Premier geworden, der sich zuvor mehrfach für eine Offenlegung der SB-Spitzellisten eingesetzt hat. Die Forderung hat sich ganz besonders die Zentrumsvereinigung zu eigen gemacht. Es gibt nämlich konkrete Hinweise darauf, daß sowohl unter den demokratisch gewählten Abgeordneten des letzten Parlaments als auch in der Führung der Gewerkschaft Solidarność Spitzel saßen. Selbst Innenminister Kozlowski gab dies seinerzeit zu und verhinderte durch seine Intervention einmal, daß das Krakauer Fernsehen eine solche Liste veröffentlichte.

Aus Krakau, von der Lokalzeitung „Czas“ kam auch der bisher deutlichste Hinweis auf die Unterwanderung des letzten Parlaments durch den Sicherheitsdienst. „Czas“ druckte um die Jahresmitte 1991 ein Rundschreiben von Kiszczaks Stellvertreter Dankowski an alle Wojewodschaftsfilialen des SB ab, das dieser nach den Wahlen 1989 verschickt hatte. Darin fordert Dankowski dazu auf, die Dokumente, die von einer Verbindung zwischen neugewählten Abgeordneten und dem Dienst zeugen könnten, zu vernichten, gleichwohl aber Kontakt mit den U-Booten im Parlament zu halten. Ihre Namen seien aus der Evidenz zu tilgen. Henryk Dankowski, gegen den inzwischen wegen der Vernichtung belastender Dokumente ermit

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telt wird, bestätigte die Echtheit des Dokuments öffentlich, weigerte sich aber, Namen zu nennen.

Die Weigerung der Behörden, sich zum Thema zu äußern, führt zwangsläufig dazu, daß in Polen die wildesten Gerüchte umgehen, wer von der demokratischen Opposition der achtziger Jahre im Dienste des SB stand. Die Beschuldigungen sind so nicht beweisbar, die Verdächtigen können sich so aber auch nicht wirklich reinwaschen. Eine Akteneinsicht gibt es nicht, praktisch das gesamte Archiv des Innenministeriums wurde vom Staatssicherheitsamt unter Verschluß genommen. Dabei war auf allen Akten sowieso ein Embargo von dreißig Jahren. Auch vor den Wahlen hat sich das Innenministerium geweigert, die Kandidaten auf ihre Verbindungen zum früheren kommunistischen Geheimdienst hin zu überprüfen.