Nur Postkärtchen „für Janek“?

■ Heinrich Vogelers Reiseskizzen aus der Sowjetunion in der Kassenhalle Am Brill

Heinrich Vogeler, Worpsweder Maler von Barkenhoffidyllen, Moorlandschaften, außerdem Märchenbuchillustrator und wohl bekanntester Schöpfer von Jugendstilornamenten, wurde während des ersten Weltkrieges zum engagierten Pazifisten und Revolutionär. Bürgerlichen Kritikern war er deshalb mindestens suspekt, wenn sie sein Bekenntnis zum Kommunismus nicht gar ignorierten oder als Verirrung abtaten.

(Selbst Malerkollege Fritz Mackensen erklärte 1938 bei der Eröffnung der Ausstellung „Das alte Worpswede“ den Verzicht auf Vogelers Bilder mit dessen „geistiger Verwirrung“ und Hinwendung zu den Kreisen, die die „Hauptschuld am Niedergang Deutschlands“ trügen.)

Eine Lücke in der künstlerischen Biographie Vogelers schloß sich vor anderthalb Jahren, als der Worpsweder Kunstsammler Wolfgang Kaufmann das seit fast einem halben Jahrhundert verschollene Reiseskizzenalbum Heinrich Vogelers wiederfand. Es enthält 35 Arbeiten, die Vogeler während seiner Reisen durch die Sowjetunion zwischen 1926 und 1939 anfertigte und die er — postkartengroß — an seinen in Moskau lebenden Sohn Jan gesandt hatte.

Die Aquarelle und Ölkreide- Blätter aus Usbekistan, Kaukasus, Karelien und Aserbaidschan sind bis zum 7. Februar — übrigens erstmalig in Bremen — in der Sparkassenhalle am Brill zu sehen.

Vogeler, 1872 geborener Sohn eines Bremer Eisenwarenhändlers, studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie und übersiedelte 1895 nach Worpswede. Sein „Barkenhoff“ wurde kulturelles Zentrum. 1919 gründete er dort eine Arbeitskommune, und ab 1924 unterhielt die „Rote Hilfe“ ein Erholungheim für Kinder politisch Verfolgter. 1932 zieht er in die Sowjetunion, die er ab 1923 regelmäßig bereist hatte.

Nun beeilt sich auch Wolfgang Kaufmann, der bis zum Erwerb des Skizzenbuches Vogelers Idyllen gesammelt hatte, im Vorwort zum Ausstellungskatalog zu betonen, „der agitatorische Vogeler“ gehöre weder nach Worpswede noch in seine Sammlung. Wohingegen das Skizzenbuch Blätter enthielte, die „ohne Absicht“, eben nur an Stelle von Postkartengrüßen entstanden seien und keine politische Meinung enthielten. Für einige der Skizzen mag zutreffen, was Kaufmann weiter schreibt: „väterliche Liebe“ sei die Triebfeder für ihre Entstehung gewesen.

Jan Vogeler erinnert sich aber, daß sein Vater ihm auftrug, die Postkarten sorgfältig aufzubewahren, weil er sie als Vorlagen für „Komplexbilder“ verwenden wollte, für große monumentale Ausschmückungen an und in öffentlichen Gebäuden, die den Sowjetbürgern die Entwicklung ihres Landes vor Augen führen sollten.

Jan Vogeler in seinem Grußwort im Katalog: „Ohne jeden Zweifel war das Reisen für meinen Vater mehr als ein persönliches Hobby...Dagegen sprechen

hierhin das Bild

von dem Mongolen mit

Kappe

Vogeler: Steppenbewohner bei Ursatevskaja

schon die spartanischen Bedingungen...Es waren Erkundungsreisen des für ihn neuen Landes, seiner Geschichte und seines Aufbaus.“

So sind Vogelers Skizzen zunächst Zeugnisse seiner brillanten Beobachtungsgabe. Anatomische Details von Mensch und Tier, Physiognomien, das Spiel von Licht und Schatten, Strukturen von Stoffmuster, Faltenwurf und Felsgestein hält er akribisch genau mit dem Pinsel fest. Andererseits ist er nicht naturalistisch- pedantisch; er verdichtet die Farben expressiv und beschränkt sich im Hintergrund ruhig einmal auf grüne Flächen.

Eselsritte über steile Felsen und reißende Bäche, Turban tragende Männer, Nächte wie aus tausendundeiner Nacht, aber auch rote Fahnen beim Kinderfest auf dem Roten Platz und frierende Jungen im nächtlichen Schnee vor industrieller Kulisse sind die Themen.

Und in Karelien entstehen 1936 einige selbstironische Karikaturen, auf denen der Maler sich im Kampf mit den Naturgewalten darstellt (“Das Arbeiten auf der Insel ist nicht sehr bequem“).

Die Blätter informieren und unterhalten die BetrachterIn und vermitteln etwas von Vogelers eigenem Staunen über seine Erlebnisse. Diesen Eindruck unterstützen in Ausstellung und Katalog Ausschnitte aus den lyrisch-märchenhaften Reiseschilderungen des Malers und seiner Frau. Beate Ramm