„Alle Russen zu Verbrechern gestempelt“

■ EG-Kommission und Care Deutschland wehren sich gegen Kritik an Rußlandhilfe/ Nahrungsmittelhilfe der EG wird in Rußland nicht verschenkt, sondern verkauft oder versteigert

Berlin (taz) — Während die derzeitige Rußlandhilfe in der deutschen Öffentlichkeit massiv unter Beschuß geraten ist, versuchen sich die an den Hilfslieferungen beteiligten Gremien und Organisationen gegen die heftige Kritik zu verteidigen. Peter von Oy, Geschäftsführer von Care Deutschland, das neben dem Deutschen Roten Kreuz maßgeblich an der Verteilung der EG-Hilfslieferungen beteiligt ist, wehrt sich vor allem gegen die Unterstellung, jegliche Hilfslieferung lande in den Händen einer korrupten russischen Mafia. „Letztlich werden damit alle Russen zu Verbrechern gestempelt.“ Care habe zum Beispiel mit seiner Partnerorganisation, der im wesentlichen von Ärzten geführten „Stiftung für Barmherzigkeit und Gesundheit“, genau die gegenteilige Erfahrung gemacht. Allerdings, so von Oy, habe Care seine Mitarbeiter in Moskau und St. Petersburg gebeten, „noch intensiver als bisher Kontrollen durchzuführen“.

In diesem Winter hat Care bereits 5.700 Tonnen Hilfsgüter aus der Bundesrepublik nach Rußland transportiert und verteilt, davon rund 4.500 Tonnen aus Beständen der Europäischen Gemeinschaft. Wie von Oy versichert, würden alle Lebensmittel in Rußland zunächst in Zwischenlager verbracht und von dort unter der Aufsicht von Mitarbeitern der Organisation an LKWs ausgeliefert, die ein Beglaubigungsschreiben vorweisen müßten. Ob solche Fuhren auch jeweils an ihrem Bestimmungsort ankämen, könne man allerdings — „es sind zu viele“ — nur stichprobenartig prüfen.

Auch der Leiter der Bonner Vertretung der EG-Kommission, Gerd Langguth, wies gestern im Gespräch mit der taz nochmals auf spezielle Kontrollinstanzen hin, die die korrekte Auslieferung der EG-Hilfslieferungen überprüften. So sei in Moskau und St. Petersburg eine Überwachungskommission aus EG-Beamten und Mitarbeitern von Mitgliedsstaaten installiert, die die ordnungsgemäße Einhaltung des zwischen EG und russischen Behörden geschlossenen „Memorandum of Understanding“ kontrollierten.

Angesprochen auf die in letzter Zeit vor allem gegen lokale Verwaltungen erhobenen Korruptionsvorwürfe meinte Langguth allerdings, „unsere Erfahrung geht auch dahin, daß wir soviel wie möglich mit Nicht-Regierungsorganisationen zusammenarbeiten“. Das Problem sei aber, daß sie natürlich nicht an örtlichen Behörden vorbei agieren könnten. Langguth wies darauf hin, daß die EG-Lieferungen nach Rußland dort nicht verschenkt, sondern „zu marktüblichen Preisen“ verkauft oder versteigert würden. Gerade bei Einführung der Marktwirtschaft sollte durch kostenlose Lebensmittellieferungen „nicht das neue Preisgefüge durcheinandergebracht“ werden. Wer allerdings vor Ort die Versteigerungen durchführt, konnte er nicht „im Detail“ angeben. Auch die Frage, ob die Erlöse, wie verabredet, dann wirklich einem Spezialfonds zugeführt werden, wußte der Leiter der Bonner EG- Kommission im Augenblick nicht zu beantworten. „Das überprüft unsere Überwachungskommission.“ Genauso unklar scheint derzeit auch noch, wie die Gelder aus diesem Spezialfonds an die „Bedürftigsten“ weitergeleitet werden sollen.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Bonn wies gestern ausdrücklich darauf hin, daß die von der Bundesregierung beschlossene zusätzliche Überprüfung der Hilfsleistungen durch zehn Fachleute „nicht unbedingt ein Akt des Mißtrauens“ sei. Diese Experten hätten den Auftrag, die Aufgaben für eine künftige „task force“ zu definieren, die im Auftrag der EG-Kommission Kontrollaufgaben bei der Verteilung der Lebensmittellieferungen wahrnehmen sollen.

Seit dem Jahreswechsel sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes täglich zwei Hilfsflüge aus Deutschland nach Moskau oder Sankt Petersburg gestartet, am Mittwoch sollen auch Lieferungen per Schiff aufgenommen werden. In dieser und der vergangenen Woche sind 2.500 Tonnen Butter und 1.000 Tonnen Magermilch geliefert worden. Anfang Februar werden 15.000 Tonnen Magermilch und 10.000 Tonnen Butter auf den Weg geschickt. Barbara Geier