RAF-Freilassungen „Sache der Gerichte“

■ Justizminister Kinkel setzt sich durch/ Koalition beendet öffentliche Kontroverse um die vorzeitige Freilassung von RAF-Gefangenen/ „Absolut gleiche Behandlung“ aller Gefangenen gefordert

Berlin (taz) — Die gestern von Regierungssprecher Dieter Vogel zur strittigen Frage einer Haftentlassung von RAF-Gefangenen abgegebene Erklärung ist zwar dürftig — für Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) aber dennoch ein großer Erfolg. Er konnte seine Pläne, noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine vorzeitige Haftentlassung von bis zu acht der RAF-Gefangenen zu schaffen, im Spitzengespräch der Regierungsparteien erfolgreich durchsetzen. Im Anschluß an die von Bundeskanzler Kohl geleitete Runde erklärte Vogel: „Die Koalitionspartner stimmen überein, daß die inhaftierten Terroristen die absolut gleiche Behandlung nach geltendem Recht und Gesetz erfahren wie alle anderen rechtskräftig Verurteilten.“ Die Überprüfung einer Aussetzung des Strafrestes, heißt es in der mageren zehnzeiligen Mitteilung weiter, „ist Sache der Gerichte“.

Kinkels Aufruf beim Stuttgarter Dreikönigstreffen der Liberalen am Wochenende, daß auch der Staat gegenüber den Inhaftierten aus der Roten Armee Fraktion eine versöhnliche Haltung einnehmen müsse, war insbesondere beim bayerischen Koalitionspartner CSU auf heftige Kritik gestoßen und umgehend auf die Tagesordnung des Spitzengespräches der Koalitionäre gesetzt worden war. Nach der gestrigen Sitzung mühten sich die Parteienvertreter nun, den aufgebrochenen Konflikt von der öffentlichen Bühne zu nehmen. Die Differenzen, vor allem zwischen CSU-Chef Theo Waigel (er warnte wiederholt vor einem „falschen Signal aus der Politik“) und Minister Klaus Kinkel (er wurde mit dem Satz zitiert: „Ohne die Haftsituation hätten wir keine RAF mehr“) wurden zwar nicht ausgeräumt, übereinstimmend sprachen sich die Parteichefs aber dafür aus, die öffentliche Debatte um eine Haftentlassung zu beenden. Geht es jetzt nach dem regierungsamtlich verordneten Gang, können die Gerichte nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches eine Aussetzung der Reststrafen auf Bewährung anordnen, wenn „verantwortet werden kann zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird“. Die weiteren Voraussetzungen für eine vorzeitige Haftentlassung — das Verbüßen von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafen oder von 15 Jahren bei lebenslänglich Verurteilten — werden von den ins Spiel gebrachten RAF-Gefangenen im Laufe dieses oder Anfang nächsten Jahres erfüllt. Entsprechend der Initiative des Bundesjustizministers, die mit der Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung und dem Innenministerium abgesprochen ist, sollen in einem ersten Schritt noch in Frühjahr die schwer erkrankten RAF-Gefangenen Günther Sonnenberg, Bend Rößner und Claudia Wannerdorfer entlassen werden.

Auch der rechtspolitische Sprecher der SPD, Hans de With, wies in einer Erklärung gestern darauf hin, daß die Frage einer vorzeitigen Haftentlassung ausschließlich von den Gerichten „in Gestalt der Strafvollstreckungskammern der Landgerichte oder der Oberlandesgerichte“ entschieden werde. Öffentliche Ratschläge von Politikern im Vorfeld richterlicher Entscheidungen nannte er „eher überflüssig, wenn nicht sogar schädlich“. Wer in dieser Frage eine Koalitionsentscheidung fordere, schimpfte With, „verkennt grundlegende Strukturen unseres Rechtsstaates“. Der Regierung warf er in diesem Zusammenhang vor, kein Konzept zur Bekämpfung des Terrorismus zu haben. Die einzige gesetzgeberische Maßnahme in den letzten Jahre sei die Einführung der rechtsstaatlich äußerst bedenklichen Kronzeugenregelung gewesen, die sich als „Fehlschlag“ erwiesen hätte. Statt wirksamer Maßnahmen betreibe die Regierung „koalitionsinterne Scheingefechte“. Wolfgang Gast