Gefährliche Pracht im Dekolleté

US-amerikanische Arzneimittelbehörde rät Frauen von den Silikon-Busen ab/ „Sicherheit der Implantate nicht garantiert“/ Hersteller sollen vorerst keine mehr verkaufen/ Schönheitschirurgen sehen ihre wichtigste Einnahmequelle in Gefahr  ■ Von Silvia Sanides

In den nächsten Wochen werden US- Amerikanerinnen auf den Erwerb eines Silikon-Busens verzichten müssen. Die Arzneimittelbehörde Food and Drug Adminstration (FDA) forderte die Hersteller von Silikon-Implantaten auf, den Verkauf und die Lieferung der begehrten Oberweite- Polster freiwillig einzustellen bis über ihre Nebenwirkungen entschieden werden kann. „Zur Zeit“, so FDA-Vorsitzender David Kessler, „können wir die Sicherheit der Implantate nicht garantieren“. Neue Informationen über Auswirkungen auf das Immunsystem und Ergebnisse von Tierversuchen hätten „ernsthafte Fragen“ aufgeworfen.

Röntgenaufnahmen werden beeinträchtigt

Etwa zwei Millionen US-amerikanische Frauen haben sich seit Mitte der sechziger Jahre Silikon-Kissen in die Brüste nähen lassen. Allein in den USA kommen jährlich etwa 150.000 Frauen neu dazu. Achtzig Prozent der Patientinnen wollen Form oder Größe ihres Busens aus kosmetischen Gründen verändern. Nur zwanzig Prozent erkrankten an Brustkrebs. Für sie ist der Schock am schlimmsten. Nach dem Trauma der Amputation haben die meisten von ihnen Monate oder Jahre gebraucht, um sich mit den Implantaten wieder einigermaßen „normal“ oder sicher zu fühlen.

Als die mit Silikon gefüllten Plastikkissen 1964 zuerst auf den Markt kamen, wurden „Arzneimittel“ dieser Art gesetzlich nicht kontrolliert. Die in den siebziger Jahren festgelegten Sicherheitsbestimmungen waren zunächst zwar heftig umstritten, aber in der Reagan-Ära nicht befolgt worden. Erst dieses Jahr ist es privaten Gesundheitsorganisationen gelungen, den Kongreß auf den Mißstand aufmerksam zu machen. Der Abgeordnete Ted Weiss empörte sich in einem offenen Brief an den FDA-Vorsitzenden, Frauen dienten als „unwissende Versuchskaninchen in einer großen, nicht überwachten Studie“.

Viele der Nebenwirkungen der Implantate sind seit einiger Zeit bekannt. Doch bisher haben sich die Hersteller nicht die Mühe gemacht, die Langzeitwirkungen in einer wissenschaftlichen Studie zu untersuchen. In den letzten Jahren sind der Arzneimittelbehörde über 5.000 Fälle von Nebenwirkungen gemeldet worden. Einer Studie der Universität Kalifornien (Los Angeles) zufolge kommt es bei vier von zehn Implantaten zu Komplikationen. Meist handelt es sich um die schmerzhafte Verhärtung des umliegenden Bindegewebes oder allergische Reaktionen auf den Fremdkörper in der Brust. Außerdem beeinträchtigen die Implantate Röntgenaufnahmen zur Früherkennung von Brustkrebs.

Besonders besorgniserregend gilt jedoch, daß die Trägerinnen der Implantate vermehrt an bestimmten Krankheiten, die den ganzen Körper erfassen, leiden: Krebs, Magengeschwüre und Autoimmunschwächen. Womöglich sind das Folgen einer schleichenden Silikonvergiftung. Die das Silikon umhüllende Plastiktaschen werden zuweilen undicht oder reißen sogar. Wie Silikon, das zuerst als Schmier- und Dichtungsmittel für US-amerikanische Marineschiffe entwickelt wurde, sich im menschlichen Körper verhält, ist noch nicht erforscht.

Schönheitschirurgen haben keine Bedenken

In den letzten Wochen haben mehrere Autoimmun-Experten der Arzneimittelbehörde ihre Bedenken über die Implantate gemeldet. Undichte Kissen sollen bei den Patientinnen rheumatische Gelenkerkrankungen, Muskelschmerzen und allgemeine Erschöpfungszustände ausgelöst haben. Unterlagen aus einem Gerichtsprozeß gegen die Silikon- Implantat-Herstellerin „Dow Corning Wright“ lassen ebenfalls auf schwere Nebenwirkungen schließen. Die Kalifornierin Miriam Hopkins hatte die Firma beschuldigt, defekte Implantate verkauft zu haben. Ihre 1976 eingenähten Kissen waren gerissen und mußten im vergangenen Sommer entfernt werden. Sie machte geltend, daß eine unheilbare Autoimmun-Krankheit, an der sie seit einigen Jahren leidet, durch Silikon ausgelöst wurde. Das Gericht erkannte ihr 7,3 Millionen Dollar Schadensersatz zu.

Gänzlich überzeugt von der Unbedenklichkeit der Silikon-Kissen blieben bisher die Schönheitschirurgen. Diese Wunderärzte beziehen etwa fünfzig Prozent ihrer Einnahmen aus dem Einnähen von Silikon- Implantaten aus Kosmetikgründen. Als sie im Herbst ihre wichtigste Geldquelle in Gefahr sahen, bildete der 4.000 Mitglieder starke „Verband der Schönheits- und Rekonstruktionschirurgen“ eine Lobby- Gruppe (Political Action Committee, PAC) mit Namen Plasty PAC. Plasty PAC flog 400 glückliche Frauen mit Silikon-Busen nach Washington, wo sie vor dem Kongreß ihre Freude über die künstliche Oberweite bekundeten. Reise und Unterbringung zahlte selbstverständlich — Plasty PAC.

Über die Entscheidung des FDA- Vorsitzenden David Kessler am Dienstag urteilte ein Mitglied der Ärzteschaft entsetzt: „Es wird eine absolute Hysterie unter Frauen ausbrechen“. Dagegen kritisierten Vertreter fortschrittlicher Gesundheitsorganisationen, ein freiwilliges Verkaufsmoratorium gehe nicht weit genug. Die Implantate sollten verboten werden, bis ihre Unbedenklichkeit erwiesen sei. Cynthia Pearson vom „Frauengesundheitsnetzwerk“ in Washington befürchtet, daß die Ärzte weiter Implantate einnähen werden, die sie bereits vorrätig haben. Nur Frauen, die sich aus medizinischen Gründen, so nach einer Brustamputation, behandeln lassen wollen, sollten von einem Verbot ausgenommen werden. Von Hysterie könne nicht die Rede sein, denn immerhin gebe es andere Möglichkeiten, Brüste zu rekonstruieren oder zu vergrößern. Unbedenklich sind zum Beispiel mit Salzwasser gefüllte Implantate. Eine amputierte Brust kann mit Gewebe von anderen Körperteilen rekonstruiert werden.

Die fünf Herstellerfirmen äußerten sich unzufrieden über Kesslers Entscheidung, versprachen jedoch zu kooperieren. Innerhalb von 45 Tagen will die Behörde endgültig über die Sicherheit der Implantate urteilen. Vertreter einer der Firmen sollen allerdings geäußert haben, daß das Moratorium sie nicht daran hindern werde, weiter ins Ausland zu liefern.