Bosnien als neuer Krisenherd

Nach der Ausrufung einer autonomen serbischen Republik drohen in Bosnien-Herzegowina Kämpfe/ Waffenstillstand in Kroatien vereinzelt gebrochen/ EG-Beobachter nehmen Arbeit wieder auf  ■ Von Roland Hofwiler

Belgrad (taz) — Enspannt sich die Lage auf den kroatischen Schlachtfeldern täglich, spitzt sich dagegen die Situation in der Nachbarrepublik Bosnien-Herzegowina gefährlich zu. Nachdem am Donnerstag die serbische Bevölkerung ihre eigene Republik ausrief, warnte gestern der bosnische Präsident, der Moslem Alija Izetbegovic, die Muslimanen, die den größten Bevölkerungsanteil stellen, würden eine territoriale Spaltung ihrer Heimat nie akzeptieren. „Wenn nötig, werden wir jahrelang dagegen kämpfen“, so der Präsident. Auch in Mazedonien drohen die Konflikte zuzunehmen: Die albanische Minderheit hält dort am Wochenende eine Volksabstimmung über eine völlige Abspaltung von Mazedonien ab, die von der Regierung als verfassungswidrig bezeichnet wird. Sie wird als erster Schritt in eine Richtung auf einen großalbanischen Staat mit Albanien selbst und dem von Serbien hart unterdrückten Kosovo eingeschätzt.

Zwar wurde die Waffenruhe in Kroatien gestern vereinzelt durchbrochen. Trotzdem blieben Vertreter Serbiens und der EG optimistisch. Die EG-Beobachter nahmen ihre nach dem Abschuß eines Hubschraubers unterbrochene Arbeit wieder auf. Der serbische Präsident Milosevic betonte erneut, für wie wichtig er die Stationierung von UN- Blauhelmen hält. Er kritisierte die Führung der Krajina, die solche Truppen auf ihrem Territorium nicht zulassen will. Die ersten 50 UNO- Vertreter werden am Dienstag in dem zerrissenen Land erwartet. Sie sollen den Einsatz der UN-Truppen vorbereiten. Der neue Krisenherd Bosnien-Herzegowina galt mit seinen vielen Völkern als das Vielvölkergemisch Jugoslawiens schlechthin. Hier leben nicht nur Muslimanen (46 Prozent), Serben (30 Prozent) und Kroaten (18 Prozent) neben Roma, Ukrainern, Albanern und Montenegrinern bunt zusammengewürfelt seit Jahrhunderten zusammen, hier stellt zudem fast nirgends eine der großen Volksgruppen in einer Gemeinde die absolute Mehrheit.

Nur in wenigen sehr dünn besiedelten Enklaven stellen die 1,3 Millionen Serben der Republik tatsächlich eine Bevölkerungsmehrheit. Doch nicht nur diese Regionen beanspruchen die Serben für sich. Ihre Serbenführer um den charismatischen Politiker Radovan Karadzic verlangen auch nach jenen Gebieten, in denen die serbische Bevölkerung vor dem Zweiten Weltkrieg die angebliche Mehrheit stellten. Begründet wird dies mit dem Genozid kroatischer Ustascha-Faschisten, der sich jederzeit wiederholen könne. Vergessen wird dabei, daß auch die Muslimanen während des Zweiten Weltkrieges Opfer einer systematischen Vernichtungspolitik wurden: Serbische Cetniks ermordeten Tausende oder steckten sie in KZs.

Der Punkt, an dem eine friedliche Lösung des Nationalitätenproblemes noch möglich gewesen wäre, scheint bereits überschritten zu sein. Nicht nur explodierten gestern drei Sprengsätze in der Muslimanenhochburg Mostar, auch haben alle drei großen Völker Bosniens längst eigene paramilitärische Truppen aufgestellt. Viele Überlandstrassen sind durch Strassensperren seit der Jahreswende für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Nicht nur so namhafte Intellektuelle wie der ehemalige Tito-Stellvertreter und spätere Dissident Milovan Djilas warnen: Der Konflikt der sich hier anbahnt, könnte um vieles grausamer werden als der Krieg in Kroatien.