Der Triumph der Rasierklinge

Berlin (taz) — Es begann zu Ende des Jahres 1901. Der Handelsreisende King Camp Gilette führte einen Schlag aus, der die Männerwelt veränderte. Er meldete in Boston/USA ein Gerät zum Patent an, das fortan in schlechten Krimis dem Selbsmord verzweifelt liebender oder schuldbeladener Frauen diente — die Rasierklinge. Geschickt konnte durch diese literarische Verarbeitung vertuscht werden, daß damit ein Stück Männerkultur verschwand und ein ganzer Berufszweig an den Rand seiner Existenz gedrängt wurde — der des Barbiers.

Angeregt zu seiner Erfindung wurde Gilette durch William Painter, den er des öfteren beim Rasieren mit dem Rasiermesser beobachtet hatte. Er fand heraus, daß Painter — übrigens der Erfinder des Kronkorkens — beim Rasieren nur ein kleines Stück des damals üblichen Rasiermessers benutzte, das allerdings immer wieder geschärft werden mußte.

Gemeinsam mit dem Mechaniker William Nickeron gründete Gilette eine Firma, und 1903 begann die Produktion des Rasierapparates mit der dazugehörigen Wegwerf-Rasierklinge. Ende des ersten Jahres waren mal gerade 51 Rasierapparate und 168 Klingen verkauft. Bereits ein Jahr später waren es schon 90.000 US-Amerikaner, die sich selbst die Wangen wundkratzten und dazu mehrere hunderttausend Rasierklingen verbrauchten. Von da an setzte sich der Siegeszug der Rasierklinge unaufhörlich fort, sprang über den großen Teich, und kann als eine der frühen Amerikanismen in der deutschen Kultur betrachtet werden.

In Berlin produzierte die kleine Metallwarenfabrik Hugo Büchners von 1907 an den Rasierapparat „Luna“ und passend dazu die „Mondklinge“. Durchgesetzt und zur Gewohnheit wurde in Europa die Selbstrasur allerdings erst während des Ersten Weltkrieges. Die Soldaten in den Schützengräben durften sich in den Granathageln des Stellungskrieges mit mehr oder weniger ruhiger Hand ein militärisch korrektes Gesicht verpassen. Wunden waren ja bei Soldaten gefragt.

Den nächsten Angriff auf liebgewonnene Werte starte 1928 ebenfalls ein US-Amerikaner. Ein gewisser Mister Schick fand es schick, sich nicht mehr naß, sondern sogar trocken zu rasieren und erfand den Elektrorasierer. Wieder ein schwerer Schlag für Krimi-Schreiber: Leichen ließen sich mit diesem neuen Gerät nur durch Erwürgen mit dem Kabel produzieren. Kein Blut, alles völlig hygienisch.

Drei Jahre später war das Ding auf dem Markt, und Ende der 40er Jahre schien der Elektrorasierer den Klingenrasierapparat völlig zu verdrängen. Doch bald wurde verlorenes Terrain zurückgewonnen. Im Mutterland des Elektrorasierers bevorzugen heute bereits wieder 75 Prozent der Männer die Naßrasur. Auch der deutsch-deutsche Anschluß verschob die Verhältnisse Zugunsten der Naßrasur. Während in den alten Bundesländern nur 40 Prozent der Männer zu Pinsel, Schaum und Klinge greifen, tun das die Neubundesmänner zu 70 Prozent. Also, von wegen Herr Schabowski, daß es aus der ehemaligen DDR außer dem politisch prägenden grünen Rechtsabbiegerpfeil nichts zu bewahren gelte. Peter Huth