Der Kulturboykott ist endgültig vorbei

■ Simon spielte Schlüsselrolle in der südafrikanischen Debatte/ Machtverlust für ANC-Kulturabteilung

Johannesburg (taz) — Paul Simons Südafrika-Tournee symbolisiert das Ende des gegen Südafrika verhängten Kulturboykotts, auch wenn der Boykott formal schon im Herbst von UNO und Commomwealth aufgehoben wurde. Aber Simon ist eben der erste internationale Superstar, der wieder im Apartheidstaat auftritt. Damit spielt Simon weiterhin, ob gewollt oder nicht, seine gewohnte Schlüsselrolle in Sachen Kulturboykott.

Formal verhängt wurde der Boykott in der Zeit nach den Schüleraufständen in Soweto 1976. Die UNO führte eine schwarze Liste von Künstlern und Sportlern ein, die Kontakte mit Südafrika hatten. Und südafrikanische Künstler und Sportler verschwanden fast vollkommen von der internationalen Bühne.

Das führte zum Teil zu bizarren Situationen. Vor allem weiße südafrikanische Künstler und Sportler entdeckten plötzlich langverschollene ausländische Vorfahren und beschafften sich eine andere Staatsangehörigkeit. Internationale Musiker begaben sich auch mal ins südliche Afrika. Als Eric Clapton unter der Schirmerrschaft des Königs von Swasiland auftrat oder Tracy Chapman für amnesty international in Simbabwe spielte, setzten sich Tausende von Südafrikanern in ihre Autos und fuhren Hunderte von Kilometern zum Konzert in die schwarzafrikanischen Nachbarländer.

Doch der anfangs totale Boykott ging auch vielen politisch engagierten südafrikanischen Künstlern gegen den Strich. Immerhin wurden auch sie von der Außenwelt isoliert. Paul Simons Entscheidung, 1985 die LP Graceland zusammen mit südafrikanischen Musikern und zum Teil in Südafrika aufzunehmen, beschleunigte die Debatte. Simon widersetzte sich dem Boykott und erntete scharfe Kritik des ANC. Aber Simon machte südafrikanische Musik in aller Welt bekannt. Und das diente letztlich auch dem Kampf gegen die Apartheid.

Die Erkenntnis, daß der Boykott da eher schadete, setzte sich schließlich durch. 1988 wurde der totale mit einem selektiven Boykott ersetzt. Ziel war es, die Entwicklung einer „Anti-Apartheid-Kultur“ zu fördern, gleichzeitig aber „Apartheid- Kultur“ zu isolieren. Doch wer sollte definieren, was diese Begriffe bedeuten? In Südafrika bildete sich der sogenannte „Cultural Desk“ des Oppositionsbündnisses „Vereinigte Demokratische Front“ (UDF), im Exil wuchs die Macht der ANC-Abteilung für Kunst und Kultur.

Die Kulturbürokraten von UDF und ANC wurden zu Zensoren, ohne deren Plazet kein Künstler und keine Künstlerin aus Südafrika internationale Auftritte wagen konnte. Und die Definition dessen, was als politisch korrektes Kulturprodukt galt, wurde denkbar eng ausgelegt. Der bekannte ANC-Anwalt und Schriftsteller Albie Sachs hat das Anfang 1990 mit einem provokanten Essay zur Kulturpolitik problematisiert. „Ich bin mir bewußt, daß wir gegen Zensur und für freie Meinungsäußerung sind“, schrieb Sachs. Aber: „Es sollte unseren Mitgliedern verboten werden, von der Kultur als einer ,Waffe des Kampfes‘ zu sprechen.“ Denn das führe, so Sachs, zu einer „Verarmung der Kunst“.

Paul Simon begann Verhandlungen für seine derzeitige Tournee schon vor zehn Monaten, noch unter den Bedingungen des selektiven Boykotts. Doch seine Ankunft hier hat auch den ANC zu einem endgültigen, eindeutigen Bekenntnis zum Ende des Boykotts gezwungen. Denn die ANC-Führung verfolgt zwar eine Politik, die für jeden Erfolg im Verhandlungsprozeß mit der Regierung eine schrittweise Lockerung von Sanktionen vorsieht. Aber in der Kulturabteilung des ANC wurde das nicht mit offenen Armen begrüßt. Denn dort bedeutet das Ende des Boykotts eine Minderung der Macht.

Der selektive Boykott soll nun durch Bestimmungen ersetzt werden, die die Förderung südafrikanischer Künstler durch internationale Besucher zum Ziel haben. Ausschlaggebend ist dabei nicht mehr die Meinung des ANC, sonder die Funktionäre verschiedener, neu entstehender Künstlergewerkschaften. Diese Gewerkschaften sollen von politischen Organisationen unabhängig sein, auch wenn sie noch zum größten Teil von ANC-nahen Leuten kontrolliert werden. Aber der Simon-Besuch zeigte auch, daß das keine absolute Verfügungsgewalt mehr bedeutet. Hans Brandt