Schnarch, schnarcher, am schnarchsten

■ Die Schlafforscher der Charité helfen notorischen Schnarchern zu entspanntem und ruhigem Schlaf/ Die Warteliste beim ehemals einzigen Schlaflabor der DDR ist lang/ Anfang der 80er Jahre wurde es als reines Forschungslabor eingerichtet

Sogar am Schreibtisch ist er eingeschlafen, Auge in Auge mit seinem Chef. Dieses Eingeständnis des 43jährigen Angestellten Michael Rösner aus Dessau schildert nicht etwa die Folgen einer durchzechten Nacht — es beschreibt die Auswirkungen des krankhaften Atemstillstands im Schlaf, den der Mediziner Schlaf-Apnoe nennt. Er tritt vor allem bei starken Schnarchern auf. Bei Michael Rösner setzt die Atmung nicht weniger als hundertmal in jeder Stunde für durchschnittlich 20 Sekunden aus. Am Morgen ist er dann müde und fühlt sich wie gerädert. Schon bei stündlich zehn Atemaussetzern sprechen die Fachleute vom Apnoe-Syndrom. Es entsteht durch den Lungensog, der die im Schlaf erschlaffende Muskulatur im Rachenbereich und der Luftröhre zusammenpreßt. Lebensgefährlich ist das zwar nicht, weil das Gehirn, veranlaßt durch den auftretenden Sauerstoffmangel im Blut, den Befehl zum Aufwachen gibt und der hochschreckende Schläfer wieder zu atmen beginnt. Aber das ständige Aufwachen und die Müdigkeit am Morgen!

Rösner hat sich mit seinem Leiden in die Obhut des Schlaflabors am Berliner Universitätsklinikum Charité begeben. »Ich hoffe, daß mir hier geholfen wird«, sagt er zuversichtlich, bevor er sich für die Nacht eine Maske für Überdruckbeatmung anlegen läßt. Der Überdruck verhindert das Zusammenfallen der Atemmuskulatur. Wie seine Mitpatienten trainiert Rösner in der Klinik das Schlafen mit den ungewohnten Gerätschaften, den Schläuchen und Kabeln am Körper, dem leise summenden Kompressor auf dem Nachtschrank. Nach drei Nächten unter ärztlicher Aufsicht wird er sich an das von der Krankenkasse bezahlte Gerät gewöhnt haben, das er dann mit nach Hause nimmt und dort allabendlich anlegt.

Bevor sich die Ärzte entschlossen, Rösner die rund 5.000 Mark teure Technik zu verschreiben, prüften sie auch andere Möglichkeiten. Zunächst wurden, wie bei allen Patienten, mit einem tragbaren Gerät alle erforderlichen Daten aufgezeichnet: Schlaf, Schnarchen, Körperlage, Atemstillstände. Es folgte eine Verhaltensberatung: Alkohol und Übergewicht sind zu meiden, für frische Luft ist zu sorgen. Der Schläfer soll nicht auf dem Rücken liegen, notfalls einen Tennisball in das Rückenteil des Schlafanzuges einnähen.

Als nächsten Schritt verabreichen die Charité-Ärzte Medikamente, die die Rachenmuskulatur straffen sollen, aber nicht bei jedermann, beispielsweise nicht bei Patienten mit Bluthochdruck, anwendbar sind. Danach bleibt noch eine Gaumenspange als Hilfsmittel. Schlägt auch sie nicht an, bleiben operative Eingriffe im Rachenraum — oder eben die Atemmaske, die trotz ihres martialischen Aussehens von 90 Prozent der Betroffenen akzeptiert wird.

Dr. Ingo Fietze, Chef des Berliner Schlaflabors, und seine Mitstreiter hoffen für die Zukunft auf mehr Plätze für die stationäre Behandlung. Derzeit sind es erst drei. Die Diagnosetechnik im Werte von etwa einer halben Million Mark ist von der Herstellern geliehen. Dr. Ralf Warmuth hat — wie vier andere Ärzte und mehrere medizinisch-technische Mitarbeiter — eine mehrwöchige Spezialausbildung an der Universität Marburg erhalten.

Die Warteliste ist lang beim ehemals einzigen Schlaflabor der DDR, das 1981 als reine Forschungsstätte eingerichtet wurde und erst seit September 1990 auch Patienten behandelt. Die Kontakte mit Marburg wurden zwar schon zu DDR-Zeiten angebahnt, aber die Ausweitung zur heute engen Zusammenarbeit ist, wie Warmuth formuliert, »ein Kind der Wende«. »Man wundert sich«, sagt Warmuth über die Schnarcher, »wie das die Partner überhaupt aushalten.« Er weiß, wovon er spricht, denn die erste Nacht auf der Station verbringen alle Patienten ohne Maske, also völlig ungebremst. Da offenbare sich eine beachtliche Palette von Geräuschen — vom knallharten Sägen bis zum ausgesprochen melodischen Pfeifen oder Singen. Aus bisher ungeklärten Gründen entfällt statistisch auf je neun Apnoe- Männer nur eine Frau. Da die schnarchenden Damen mit Atemaussetzern zumeist schon die Wechseljahre erreicht haben, halten Mediziner hormonelle Ursachen nicht für ausgeschlossen. Bis sich aus dieser Hypothese vielleicht eine neue Behandlungsmethode ergibt wird Michael Rösner mit der Atemmaske auskommen müssen. Und wenn ihm dennoch bei der Arbeit einmal die Augen zufallen sollten, darf mit einigem Recht auf eine durchfeierte Nacht geschlossen werden. Wolfgang Jasinski