Auf der Suche nach barocker Mitte

■ Ein Vorschlag zur »Restitution von Stadtraum und Schloß« wird derzeit im Marstall der Akademie-Galerie gezeigt

In der einen Sache sind sich alle einig: Mit der Sprengung der Reste des Berliner Stadtschlosses im Herbst und Winter 1950 ist der Stadt, dem Land, ein unwiderbringlicher Verlust widerfahren. Ein Verlust an Bausubstanz, an einem stadträumlichen Halt und Orientierungspunkt und an Zeugenschaft für die Wohnkultur von Jahrhunderten. Ganz zu schweigen von der Vernichtung und rigoroser Auslöschung einmaliger Kunstgegenstände zugunsten einer waghalsig-dilettantischen Kleinbürgerideologie, deren einzigste Erfindung auf dem Bausektor diese kleine, schäbige graue Baracke ist. (Irrtum: die Platte ist auch nicht von denen!)

Bei der letzten Zählung verzeichnete die Inventurliste 1.300 Räume in dem Baukörper, der in den Abmessungen von 116 mal 192 Metern auf dem Platz stand, der noch Marx-Engels-Platz heißt. Von der Gotik bis zum Historismus waren alle Stile, und zwar meist in ihrer hervorragendsten Ausprägung und Durcharbeitung, an und in diesem Bau vertreten. Mit seinem Kellergeschoß, seinen drei Vollgeschossen und dem aufgesetzten Mezzaningeschoß war er zugleich über Hunderte von Jahren Residenz und Wohn- und Arbeitsstätte der Fürsten und Könige — und der aus allen Straßen sichtbare Kubus der »Mitte«.

Um diese »Mitte« wird es in den nächsten Jahren bei der Diskussion um die »Rückgewinnung von Urbanität« vorrangig gehen. Schon streiten sich die Geister, die selbsternannten Bewohner von Orkus und Olymp, um den einzig wahren Umgang mit der städtebaulichen Hinterlassenschaft der Stadtbau-Dilettanten. (Was diese hier im Westen angerichtet haben, davon wollen wir jetzt mal schweigen; ihnen ihre Untaten aufzuzählen, würde diese zu selbigem bringen)

Die Schloß-Rückbauer sind mittlerweile dabei, eine starke Lobby hinter sich zu sammeln: Schon munkelt man von potenten millionenschweren Helfern im Hintergrund, die sich der Sache annehmen wollen. Man wird noch einmal heftig streiten in dieser Stadt — und die Stadtplaner, Architekten und Bauhistoriker werden nicht hintanstehen. Ihre Argumente werden jedoch auch nicht den letztlichen Ausschlag geben, da auch in dieser Gilde die Meinungen weit auseinandergehen.

Da der Streit also vorprogrammiert zu sein scheint, wollen wir, die Berlin-Kultur-Redaktion, uns so häufig wie möglich in diese Auseinandersetzung einmischen: Mit Diskussionsbeiträgen (Thesen, Manifesten etc.) Dritter, Rezensionen und Kritiken und mit der Vorstellung auf unseren Seiten von stadträumlichen und architektonischen Vorschlägen, wie mit dieser Mitte beziehungsweise dem nicht mehr vorhandenen Baukörper des Schlosses eventuell zu verfahren sei.

Zum Auftakt dokumentieren wir hier den Vorschlag des Bauhistorikers Goerd Peschken und des Architekten Frank Augustin Zur Restitution von Stadtraum und Schloß, ein Entwurf, der als Studio-Ausstellung zur Zeit in der Akademie-Galerie am Marx-Engels-Platz 7 (im Marstall) zu sehen ist. Peschken und Augustin nehmen den Stadtraum, wie er sich bis zur Sprengung des Schlosses erhalten hat, ernst: Sie benennen seine Qualitäten zu allen vier Seiten hin und untersuchen anhand des noch vorhandenen Materials deren Wiederherstellung.

Es geht ihnen dabei aber nicht um die sofortige Wiederherstellung des Schlosses, sondern ausschließlich (vorerst) um den Baukörper und um die Rückgewinnung der optischen Wirkung dieses Körpers: Wie er sich zu den noch vorhandenen Strukturen verhält, als Sichtachse und als Straßenrand. Ihr Vorschlag hat etwas von der naiven Sucht nach alter Bausubstanz und doch auch sofort etwas Einleuchtendes. Auf jeden Fall genug von dem, was man benötigt, um ihren Vorschlag erst einmal genau zu besehen, bevor man auf ihn eindrischt und ihn als restaurativ abtut (während der Ausstellungseröffnung aus angeblich »berufenem« Munde vernommen!).

Die Konzeption ihrer »Restitution« ist in ihrem ersten Schritt von der Idee getragen, den Kubus »Schloß« auf seine heutige stadträumliche Tauglichkeit für die Mitte zu überprüfen. Sie ergänzen zu diesem Zweck den Baukörper »Palast der Republik« um den Teil des ehemaligen Schlosses, der sich auf dem großen Parkplatz westlich des Palastes erstreckt hat; und zwar mit Hilfe eines Gerüstes, auf dem Fotos der Schloßfassade montiert sind. Auf dem dann noch vorspringenden Teil des Palastes soll ein großer Spiegel die Foto-Fassade vedoppeln, um aus der Sichtachse Unter den Linden die alte optische Funktion zurückzugewinnen: Das Schloß als Schluß der Promenade.

Dies ist aber nur ein Teil des Vorschlages, der in mehreren »Transformationsschritten« zunächst die Diskussion beleben soll — am Ende dieser Diskussion erst wird das endgültige Vorgehen, wird der schließliche Ausgangspunkt für die ausstehende Rückgewinnung stehen.

Nachstehend also dieser Vorschlag anhand von Auszügen aus dem Katalogtext und mittels der dem Katalog beigegebenenZeichnungen. Martin Kieren

Berlin: Zur Restitution von Stadtraum und Schloß . Ausstellung des Entwurfes von Goerd Peschken und Frank Augustin. Akademie- Galerie, Marx-Engels-Platz 7 (Marstall), Berlin-Mitte, täglich von 12 bis 20 Uhr. Diskussion am Samstag, 25. Januar, 15.30 Uhr.