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Zwei Marathons, ein Sprint

■ Zu Jan Hoets documenta-Politik

Journalisten haben viel ertragen müssen, um eine Idee zu bekommen, wie die nächste documenta aussehen wird. Erst hat Jan Hoet die Presse nach Gent (Belgien) eingeladen, um die Verbindung mit seiner eigenen künstlerischen Wiege herzustellen. Dort, in Gent, ist sein erstes Konzept auch geboren worden. Die documenta sollte — so hieß es anfangs — wie ein menschlicher Körper sein: mit Kopf, Herz und Gliedern als Metaphern für drei verschiedene Kategorien der Kunst: Jedem Teil wurde ein maßgeblicher Künstler zugewiesen und um ihn herum wieder andere Künstler gruppiert: So entstand eine Struktur und gleichzeitig eine Hierarchie. Bruce Nauman wurde damals als Hauptkünstler nach vorne geschoben. Um dies alles deutlich zu machen und einem breiten Publikum zu zeigen, was den Organisatoren (Hoet und seinen drei Mitarbeitern) im letzten Jahr aufgefallen war, nannte Hoet diese erste Pressekonferenz einen Marathon — und sie dauerte fast 24 Stunden. Die Show war gut, und wir waren beruhigt: Jan Hoet hat eine Idee!

Neun Monate später wurde etwas Ähnliches organisiert; diesmal in Weimar. Eine russische Militärkapelle spielte zur Eröffnung des Spektakels.

Inzwischen hatte die Equipe einige Weltreisen gemacht und konnte mehr als tausend Dias vorzeigen: Leider waren sie von extrem schlechter Qualität und die Kommentare evident oberflächig (im Goethe-Institut zu Brüssel hatte Hoet einmal die Bilder von Christopher Wool gepriesen, weil man an ihnen sehen könne, daß sie noch wirklich mit der Hand gemalt seien). Von einem Konzept war in Weimar schon keine Rede mehr. Ein anderer Künstler wurde als zentrale Figur benannt: Mario Merz. Seine Ausstellung in Prato (bei Firenze) letztes Jahr hatte die Vierermannschaft begeistert wie keine andere Ausstellung davor. Eine Liste mit Namen von „Kandidaten“ wurde wie ein Kassiber herumgereicht; die Liste der definitiv bereits „Ausgewählten“ bekam die Presse erst am Schluß, wiederum nach ein Marathon von diesmal 20 Stunden.

Eigenartig, von den Plänen und Ideen von Gent bis Weimar ist beim Sprint in Kassel keine Rede mehr. Mario Merz bleibt zwar eingeladen, wird aber namentlich gar nicht mehr erwähnt. Die Mitarbeiter: Bart De Baere, Pier Luigi Tazzi und Denys Zacharopoulos werden von Hoet zwar noch vornamentlich erwähnt, kommen aber überhaupt nicht mehr zu Wort — abgehängt. Nachdem nun — jedenfalls soweit man sehen kann — sämtliche Hoet-Spezifika verloren gegangen sind, hat er dasselbe Problem wie sämtliche documenta-Macher vor ihm auch: Er wird gemessen an der An- oder Abwesenheit von Namen auf der Liste. Und tatsächlich darf man beginnen, sich zu wundern: über die Gegenwart einiger Belgier zum Beispiel, deren documenta-Reife bezweifelt werden darf. Bert De Leenheer

Bert De Leenheer ist verantwortlich für die nichtkommmerzielle Galerie Transit in Löwen und ist mit seinen Ausstellungskonzepten bekanntgeworden.

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