»Die gepflegte Armenkolonie«

■ Elmar Altvater, Hermann von Berg, Jürgen Kuczynski und Klaus Schroeder in der Urania

Die DDR-Bevölkerung und die westdeutsche Regierung hat die Wiedervereinigung haben wollen, also ist sie gelaufen«, stellt Klaus Schroeder von der FU lapidar fest, »es gab insofern keine ernsthafte Alternative zu der Vereinigung, und es bleibt Spekulation, ob ein anderer Weg nicht genauso viele oder ähnliche Probleme aufgebracht hätte.«

Schroeder, der sich politisch »links außen« sieht, macht nicht eine Revolution für den Niedergang des DDR-Systems verantwortlich, sondern den Bankrott der Staatswirtschaft. Die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern zeichnet der Politologe vom OSI (Otto-Suhr-Institut) in düsteren Farben: »Die DDR-Wirtschaft war maroder, als wir alle gedacht haben... Es scheint nur die Alternative zu geben, daß die DDR-Betriebe westdeutsche Tochtergesellschaften werden, und ein Drittel bis die Hälfte von der Bildfläche verschwinden.«

Schroeder bedauert dies nicht; er wirft alten Geschäftsleitungen von DDR-Betrieben vor, lange mit der Sicherung der eigenen Machtansprüche beschäftigt gewesen zu sein, und weniger mit der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Schroeder macht erst gar nicht den Versuch, auf Arbeitslosigkeit und die damit verbundene soziale Verelendung einer großen Bevölkerungsgruppe einzugehen, er sieht generell »mentale Probleme« im DDR-Volk, sich mit der Vereinigung anzufreunden.

Elmar Altvater dagegen meint, es habe überhaupt keine Vereinigung gegeben, weder eine soziale, kulturelle, noch eine nationale. Der »Kollaps der DDR-Gesellschaft« habe bloß zu einer politischen und ökonomischen Verbindung geführt, die unter dem Zeitdruck der geschichtlichen Entwicklung in den Jahren 1989/1990 entstanden sei. Bundeskanzler Kohl habe damals zugegriffen, und das findet der FU-Politologe auch gut so. Die Währungsunion glaubt Altvater teilweise mißlungen; denn im Gegensatz zu 1948 seien die DDR-Betriebe nicht entschuldet worden, das habe ihre Startchancen in die freie Marktwirtschaft verschlechtert. Das Gegenteil geschah: die Betriebsvermögen wurden entwertet, Kapital entzogen.

Keine Bank der Welt gibt derart überschuldeten Betrieben Kredit, der Bankrott ist programmiert. Bis zum endgültigen Ruin dieser Firmen muß die Treuhand für die Tilgung laufender Kredite aufkommen, 1991 allein etwa 11,3 Milliarden DM. Die DDR-Betriebe seien schon vor der Wende marode gewesen, jedoch nur gemessen an Weststandards, wie da sind Leistung, Rentabilität, Produktivität und Effizienz. Zu den Oststandards zählt Altvater »mehr Freizeit zu haben, mehr Sozialausgaben zu haben...«, und dieses Wunschdenken der Ossis ist für die Entfaltung der Marktwirtschaft nicht unbedingt förderlich. Der Politologe fürchtet, daß sich die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung der beiden Teile Deutschlands verfestigt, daß die Westwirtschaft weiter boomt, die Ostwirtschaft hingegen am Staatstropf hängen bleibt.

Der Staat müsse sich dann noch weiter verschulden, zur Finanzierung der deutschen Einheit Staatspapiere herausgeben, die vorwiegend von Westdeutschen aufgekauft würden, da ein Haushalt in Westdeutschland durchschnittlich über 100.000 DM verfüge, ein ostdeutscher jedoch nur über 20.000 DM. Die Vorstellung, daß die Ostdeutschen die Vermögensbildung der Westdeutschen finanzieren, findet Altvater »pervers«.

Der emeritierte Professor für Ökonomie an der Humboldt-Universität, Jürgen Kuczynski, meint, vom Standpunkt der Vernunft sei die Vereinigung völlig richtig abgelaufen. Die Ostwirtschaft war dermaßen veraltet, daß eine japanische Handelsdelegation 1985 auf die Frage, was ihnen in der DDR besonders gut gefallen habe, antwortet: »Die Museen! Besonders Robotron bei Dresden!«

So sieht Kuczynski die Zukunft der DDR-Wirtschaft rabenschwarz: »Vernunftgemäß ist die Industrie und die Landwirtschaft in der alten DDR für das vereinigte Deutschland völlig überflüssig, nur eine Belastung... Nur was lokal wichtig ist, Gärtnereien, Einzelhandel, Tourismus, wird aufgebaut in der alten DDR.« Die DDR gehe den Weg, den Sizilien, Wales oder South Carolina gegangen seien, den Weg in eine »gepflegte Armenkolonie«. Der Ökonom beklagt vor allem das gewandelte menschliche Verhältnis der ungleichen Brüder zueinander, das sich sehr verschlechtert habe. Aber das werde sich wieder zum Besseren kehren, sobald die Wirtschaftskrise, die Kuczynski am Horizont über der »alten BRD« heranziehen sieht, auch viele Bürger aus den alten Bundesländern an den Abgrund des Sozialnetzes treibe.

Insgesamt habe die Vereinigung die DDR trotz gewonnener Freiheiten in den Medien oder in den Wissenschaften in eine Katastrophe geführt, »... vom Ideal einer Vereinigung her ist die Sache so falsch wie möglich gelaufen.«

Hermann von Berg ist da ganz anderer Meinung. Für ihn war jeder Tag, an dem die DDR nicht in Richtung Marktwirtschaft marschierte, ein verlorener Tag, denn: »Es gibt im Leben der Völker und Staaten Situationen, da gilt die alte Chirurgenweisheit: Da hilft nur noch der Schnitt, und nichts anderes.« Abschneiden will der Ökonom, der in Marburg und an der Humboldt-Universität lehrt, vor allem die unprofitablen DDR-Betriebe, da sie »... weder ökologisch noch sozial etwas leisten können. Im Klartext: Ohne Profit ist alles nichts.«

Von Berg bezeichnet den Kommunismus als »...asozial, denn fehlende Profite ziehen fehlende Investitionen in den Umweltschutz nach sich, was wiederum zu der ökologischen Katastrophe in der DDR geführt hat.« Die ökonomische Situation könne nicht so schnell verbessert werden, denn »es ist leicht zu sagen, wie ich ein Ei in die Pfanne haue; aber wie mache ich aus dem Rührei wieder ein Ei?« Verantwortlich für das Rührei sei die Sekretärs-Sekte der SED gewesen, die den staatsmonopolistischen Wirtschaftskurs bestimmt habe. Von Berg erwähnt nicht, daß er selber jahrelang zu den Eierkloppern gehörte. Es soll noch drei bis fünf Jahrzehnte dauern, bis die Eierschalen wieder aneinandergepappt sind. Werner