Ein neuer Flächennutzungsplan steht bevor

■ Mit dem hinzugekommenen Ost-Berlin muß die ganze Stadt neu geplant werden/ Doch erst in drei bis vier Jahren wird der neue FNP vom Abgeordnetenhaus festgesetzt sein/ Bis dahin gibt es ein paar Möglichkeiten, planerisch zu improvisieren

Berlin. Wer erinnert sich noch an die Zeiten, als tobende Kleingärtner verzweifelte Stadtentwicklungssenatoren durch die Stadt jagten? Als engagierte Tierfreunde die Yorckbrücken mit Transparenten verhängten? Und als radikale Autogegner demonstrativ Müll in Amtsstuben aufhäuften. Ähnliches steht Berlin in den nächsten Jahren wieder bevor. Denn im März 1991 wurde der neue Flächennutzungsplan für ganz Berlin aufgestellt, der — wenn alles gutgeht— in drei bis vier Jahren vom Abgeordnetenhaus festgesetzt wird.

Nötig geworden ist er, weil sich in den nächsten Jahrzehnten in West- Berlin viel ändern wird: Industriegelände wird aus der Stadt heraus verlagert, dafür fehlten wiederum in der Innenstadt Büros, meint Wolfgang Branoner (CDU), Staatssekretär der Stadtentwicklungsverwaltung. Im Umland werden künftig viel mehr Einfamilienhaussiedlungen gebaut. Und die Verkehrsplanung ist auf die Halbstadt hin konzipiert.

Ost-Berlin muß gar gänzlich neu beplant werden. Wer bisher gedacht hatte, in der DDR habe die Planwirtschaft geherrscht, muß sich, zumindest, was die Stadtplanung angeht, eines Besseren belehren lassen. »Es gab in der DDR keine verbindliche Bauleitplanung«, erzählt Branoner. »Die Pläne, die wir in Ost-Berlin vorgefunden haben, wurden den Bürgern gegenüber unter Verschluß gehalten — was sogar dem DDR-Recht widersprach«.

Die Stadtentwicklungsverwaltung hat bisher ein erst grobes Konzept für den FNP entworfen. Die Gebiete, deren Nutzung unstrittig ist — das sind beispielsweise die meisten Altbauquartiere —, werden in dem Konzept als »nutzungsstabil« gekennzeichnet. Dann gibt es Gebiete, deren Nutzung bleibt, die aber »neu geordnet« oder »verdichtet« werden. Dazu gehören die eher dörflichen Gegenden am Stadtrand oder einige wenig ausgenutzte Gewerbegebiete. Bleiben als interessantestes die »weißen Flecken«, für die es noch kein Konzept gibt (siehe Kasten).

Der Flächennutzungsplan entsteht auf der Grundlage anderer Pläne: die Bereichsentwicklungsplanung — kurz BEP genannt —, die die einzelnen Bezirke beschreibt, die Landschaftspläne und diverse Stadtentwicklungspläne — Wohnen, Verkehr, Gewerbe. Diese Pläne dienen der Verständigung der Verwaltung untereinander. Weitergehende Pläne, die einen Rechtsanspruch der Bürger gegen die Kommune begründen, nennt man Bebauungspläne. Sie werden nicht von der Stadtentwicklungsverwaltung festgesetzt, wie die verwaltungsinternen Pläne, sondern von den Bezirken aufgestellt und vom Bausenator festgesetzt.

Trotzdem sind die verwaltungsinternen Pläne wichtig, denn auf deren Grundlage entstehen später die Bebauungspläne. Die Entwürfe der BEPs für den Ostteil der Stadt liegen derzeit schon in den Bezirksrathäusern aus. Sie wurden von verschiedenen — ausschließlich westlichen — privaten Planerbüros erarbeitet. Aber dies geschah im Eilverfahren: Während für die West-BEPs zwei bis vier Jahre verwandt wurden, wurden die Planerbüros im Osten für mal gerade zwei Monate beauftragt. So wurde am Detail gespart: Die Standorte geplanter Schulen wurden nur angedeutet, auf solche Winzigkeiten wie Kindertagesstätten wurde ganz verzichtet und die Eigentumsverhältnisse wurden nicht berücksichtigt.

Mit dem später folgenden Bebauungsplan wird nur ein Block, manchmal auch zwei oder drei beschrieben. In dem B-Plan steht im Detail, auf welchem Grundstück welche Nutzungsart und welche Bebauungsdichte vorgesehen ist. Nur der B- Plan ist rechtsverbindlich. Bei seiner Aufstellung haben die Anwohner das Recht, Einspruch zu erheben. Ist der B-Plan festgesetzt, können sich Grundstückseigner auf ihn berufen, wenn sie einen Bauantrag stellen. Da es im Ostteil der Stadt auf Jahre keinen FNP geben wird, von dem aus die Bezirke ihre B-Pläne ableiten können, wurde eigens für die ehemalige DDR ein auf sieben Jahre befristeter Sonderpassus im Baugesetzbuch aufgenommen. Demnach dürfen Ostgemeinden auch dann schon B-Pläne aufstellen, wenn es noch keinen Flächennutzungsplan gibt.

Wie wichtig ein B-Plan ist, stellen derzeit Pankower Bürger fest. Sie kämpfen um einen Kinderspielplatz im Zentrum Pankows, der in einer Baulücke nahe der Wolfshagener Straße liegt. Für das Gelände bereitet das Bezirksamt gerade einen B-Plan vor. Wird der Spielplatz nicht im B- Plan als Freifläche festgeschrieben, dann, so befürchten die Anwohner zu Recht, wird ein späterer Eigentümer dort einmal einen Bauantrag stellen können. Dann wäre der Spielplatz ersatzlos weg.

Im Westteil der Stadt gibt es jedoch relativ wenig B-Pläne. Der Grund: Es dauert Jahre, einen solchen Plan festzusetzen. Denn zunächst müssen die Bezirksämter alle möglichen Stellen daran beteiligen: verschiedene Senatsverwaltungen, bezirkliche Ausschüsse, Grundstückseigentümer, Anwohner, Polizei, Feuerwehr, Tiefbauamt, Wirtschaftsverbände, womöglich auch Bund oder Reichsbahn. Ist der Bezirk fertig damit, so geht das Werk in die Hände der Bauverwaltung über, und die fängt mit der Arbeit von vorne an, bevor sie den Plan festsetzt.

Zwischen den Bezirken und dem Bausenator gibt es deswegen einen ständigen Streit, der derzeit noch zu eskalieren droht. Denn der Bausenator will seine Eingriffsrechte noch ausweiten, was die Bezirke unisono ablehnen. Wenn es für einen Block noch keinen B-Plan gibt, können Westberliner Bezirke auf den Baunutzungsplan aus den 50er Jahren zurückgreifen. Das ist eine Art flächendeckender grobrastriger Bebauungsplan, der die gesamte Halbstadt beschreibt. Der Nachteil: Der Baunutzungsplan ist völlig veraltet. Er geht von einer sogenannten Nutzungsdichte von 1,5 bis 2,0 aus. »2,0« heißt, daß je Quadratmeter Grundfläche zwei Quadratmeter Geschoßfläche auf dem Grundstück gebaut werden dürfen.

Damit läßt sich natürlich kein Hochhaus bauen. Weil aber die Festsetzung des B-Plans so lange dauert, befreit sich der zuständige Stadtrat oder der Bausenator gelegentlich vom Bauplanungsrecht. Da der zuständige Fachbeamte dabei quasi über den Daumen peilt, wieviel der betreffende Grundstückseigner am Bau verdienen darf, ist dies eine Praxis, die der Korruption Tür und Tor öffnet, wie sich in Berlin zuletzt beim Bauskandal 1986 herausstellte. Ähnlich kriminogen ist die Situation in Ost-Berlin, wo es keinen Baunutzungsplan gibt und nur wenige B- Pläne aufgestellt wurden. In Ost- Berlin werden derzeit alle Bauanträge generell nach Paragraph 34 des Baugesetzbuches genehmigt, ein Gummiparagraph, mit dem die zuständige Behörde ohne Anhörung der Anwohner fast alles zulassen kann. Forderungen von CDU und FDP, diese Gummiparagraphen weiterhin anzuwenden, weil man damit schneller bauen könne, sind, vor diesem Hintergrund betrachtet, mehr als problematisch. Eva Schweitzer

(Siehe Kommentar Seite 21)