„Amerika kam, sah, siegte und vergaß“

Der Triumph des Sieges ist verblaßt/ Zum Jahrestag des Golfkriegs häufen sich die Enthüllungen: Raketen gingen „verloren“, Propaganda wird widerlegt  ■ Aus Washington Rolf Paasch

So hatte sich Präsident Bush den Jahrestag zum Golfkriegsbeginn nun wirklich nicht vorgestellt. Statt auf der Welle patriotischer Siegesfeiern in den Wahlkampf zu ziehen, mühte sich George Bush am Donnerstag im rezessionsgeplagten New Hampshire um die abspenstigen Wähler der eigenen Partei. „Ein Jahr danach“, titelte die 'Washington Post‘ am 16. Januar, „Des Krieges verblaßter Triumph“. „Typisch Amerika“, kommentierte ein arabischer Diplomat in Washington: „Amerika kam, sah, siegte und vergaß.“

Und selbst die Bilder, an die sich die Öffentlichkeit noch zu erinnern vermag, erweisen sich nachträglich als Fata Morgana eines Wüsten- oder Public-Relations-Krieges. Die „Patriots“, die mit ihrem defensiven Funkenflug so manches Fernsehbild des Nachthimmels über Dharan oder Tel Aviv aufhellten, trafen in Wirklichkeit nur Fragmente der sich bereits auflösenden Scud-Raketen des Irak. „Unsere ersten Kriegserfahrungen mit der Raketenabwehr“, so schreibt der frühere Pentagon-Berater und Missile-Experte am Massachusetts Institute for Technology, Theodor A. Postol, „war ein fast völliges Versagen, die ziemlich primitiven Angriffsraketen abzufangen.“

Erfolgreiches Kriegsgerät, wie die schon in Afghanistan bewährten Stinger-Missiles, scheint dagegen im Nahen Osten ungewollte Verbreitung zu finden. Einem Bericht der Washingtoner Experten-Publikation 'Inside Defense Electronics‘ zufolge haben die US- Streitkräfte während des Krieges mehrere Dutzend amerikanischer Stinger-Flugzeugabwehrraketen „verloren“. Redakteurin Jane Callen zitiert in dem Artikel Quellen aus der Logistikabteilung der US Army, denen zufolge in den USA hergestellte Stinger-Raketen bereits in verschiedenen Ländern am Persischen Golf, darunter Qatar und Syrien, aufgetaucht sind. Die hocheffektiven und von Hand abgefeuerten Stinger-Missiles gelten wegen ihrer leichten Transportbarkeit als ideale Waffe für Terroristen. Das Verteidigungsministerium hatte in der Vergangenheit Forderungen des Kongresses, alle Stinger-Missiles mit einem elektronischen Schloß zu versehen, aus Kostengründen abgelehnt.

Und so real die Greueltaten der irakischen Besatzungsarmee in Kuwait auch waren. Was der amerikanischen Öffentlichkeit darüber aus Washington berichtet wurde, ist mittlerweile ebenfalls mit Vorsicht zu genießen. Zum Beispiel die Geschichte einer Zeugin vor dem vor dem „Menschenrechtsausschuß“ des US-Kongresses. Die irakischen Besatzer, so hatte die 15jährige Nayirah am 10. Oktober 1990 bei einer öffentlichen Anhörung des Kongreß-Gremiums erzählt, hätten im Krankenhaus der Hauptstadt Kuwait City Neugeborene aus ihren Brutkästen auf den Boden geschleudert.

Was die Kongreßabgeordneten einschließlich eines der Ausschußvorsitzenden damals nicht wußten: hinter Nayirah verbarg sich die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA. Und daß ihr Auftritt von der Washingtoner Public-Relations-Firma „Hill & Knowlton“ organisiert wurde, die wiederum von der rechtsgerichteten Lobbygruppe „The Citizens for a Free Kuwait“ acht Millionen Dollar für ihre Dienste erhalten hatte.

Vertreter der Organisationen amnesty international und Middle East Watch, die nach Ende des Golfkrieges in Kuwait den dort begangenen Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen nachgingen, konnten die Geschichte nicht bestätigen. Doch das Bild von den ermordeten Babys hatte in der öffentlichen Debatte längst ihre Wirkung gehabt. Allein George Bush hatte das visuelle Image von den „wie Feuerholz auf den Boden geworfenen Babys“ ingesamt sechsmal zur Legitimation der US-Intervention herangezogen.