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»Wir müssen schwimmen lernen«

■ Nach dem Ende der Sowjetunion sind nur Rußland und Lettland auf der Grünen Woche vertreten/ Finanzprobleme, mangelndes marktwirtschaftliches Know-how erschweren den Start

Die lettische »Fischkonservenfabrik Roja« ist vom Pech verfolgt. Zum ersten Mal hatte man voller Stolz einen Stand auf der Grünen Woche gemietet — als Repräsentant des seit August unabhänigen Baltenstaates. In den Jahren davor war man zwar auch vertreten, aber immer unter dem Dach der Sowjetunion, die das Land 1941 annektiert hatte. Zur Eröffnung in Halle 14 hatte Direktor Andris Helmanis selbst kommen wollen. Dann aber erkrankte er so schwer, daß er in Riga in ein Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Als wäre das nicht schon genug, fehlt einen Tag vor der offiziellen Eröffnung auch noch das Werbematerial. Der Journalist Karlis Jansons, der den Text dazu geschrieben hat, hat nur eine Hoffnung: »Vielleicht kommt es Montag...«. Das ist nur eines von vielen Problemen, mit denen sich der Betrieb herumzuschlagen hat. Allein die Standmiete kostet 10.000 Mark, nicht gezählt die 3.000 Mark für den Kühltransporter, der die Fischkonserven mit den eingelegten Makrelen, Sardinen und anderen Meerestieren aus Roja hergeschafft hat. Viel Geld für den Staatsbetrieb, der nach der Unabhängigkeit seines Landes nun weitgehend auf eigenen Füßen stehen muß. Um in Berlin dabei zu sein, wurde bei der lettischen Kommerzbank ein Kredit aufgenommen. »Wir sind arme Kirchenmäuse«, sagt Jansons, der nach dem Ausfall des Direktors zum Ansprechpartner geworden ist, weil er fließend deutsch spricht. In solch einer Situation auszuhelfen, sei für ihn eine »patriotische Sache«.

Der Betrieb, bisher eng in die zentralistische Wirtschaft der ehemaligen UdSSR eingebunden, produziert derzeit unter prekären Umständen. Es mangelt nicht nur an Treibstoff für den Transport, auch Sonnenblumenöl für den eingelegten Fisch und selbst Konserven kommen nur spärlich aus Rußland. Immer häufiger werden dabei die Lieferbedingungen nicht eingehalten, klagt Jansons. Zudem mangele es an der notwendigen Erfahrung mit der westlichen Marktwirtschaft. Viele Unternehmen hätten noch nicht erkannt, daß Werbung, auch durch den Auftritt auf Messen, wichtig sei. Noch herrsche die Mentalität vor, »auf dem Geld sitzenzubleiben«. Die fehlende Risikobereitschaft hat aber auch einen weiteren Grund: fehlende Devisen. Noch zirkuliert in Lettland der Rubel. Die Einführung einer eigenen konvertierbaren Währung ist für dieses Jahr geplant.

Neben Lettland ist lediglich Rußland als ehemalige Republik der UdSSR mit einem Stand vertreten. Einzig auf Treffen der Tierzuchtverbände werden Vertreter der Ukraine, Lettlands, Estlands und Litauens erwartet. Barbara Weitz, Projektreferentin der »Ausstellungs-Messe- Kongress GmbH« (AMK), führt die geringe Präsenz darauf zurück, daß die »Gemeinschaft Unabhängiger Staaten« (GUS) erst seit kurzem bestehe. Hätte die Messe ein bis zwei Monate später stattgefunden, wäre die Beteiligung größer gewesen, glaubt Weitz. Neben dem Devisenmangel taucht für die neuen Staaten ein weiteres Problem auf, daß direkt mit der Zerfall alter Strukturen zu tun hat: Bisher existieren keine neuen nationalen Exportorganisationen, die sich an der Grünen Woche beteiligen könnten. Denn auf der Messe werden nur nationale oder internationale Gemeinschaftsstände zugelassen, die ihrerseits wiederum an private Anbieter vermieten können.

Vom rasanten Wechsel der Zeiten ist auch der russische Stand in Halle 18 nicht verschont geblieben. Im Katalog noch unter UdSSR verzeichnet, vertritt der deutsche Generalimporteur Simex nun die Republik Rußland. Angeboten werden ausschließlich Spirituosen: Wodka sowie Sekt und Wein von der Krim. Auch »Simex«, das 1963 in den Handel mit der UdSSR einstieg, feiert dieses Jahr eine Premiere: weil die Sowjetunion früher Berlin als eigenen Staat betrachtete, mußte die Firma aus Jülich einen Berliner Ableger mit eigenem Namen gründen, um an der Messe teilzunehmen. Diese juristischen Spitzfindigkeiten sind mit dem Ende des Ostblocks nun zur Makulatur geworden. Dafür tauchen andere Probleme auf. In den vergangenen Jahren traten drei sowjetische Außenhandelspartner zusammen mit der westdeutschen Firma auf — diesmal nur einer. Die Absage sei ohne Begründung gekommen, wie Simex- Repräsentantin Ellen Peters erzählt: »Wir haben jedes Jahr angefragt, und diesmal kam halt ein Nein.«

Probleme mit Lieferungen hat Simex nicht. Im vergangenen Jahr wurden in der damals noch existierenden UdSSR drei Joint-ventures gegründet. Sie sichern den ungetrübten Nachschub an Sekt und Wodka für den bundesdeutschen Markt. Im letzten Jahr kam das Unternehmen auf einen Umsatz von 120 Millionen Mark. Ganz neu ist die Wodkamarke namens »Cristall«. Doch ihr Etikett ist schon veraltet, denn darauf leuchtet, in kräftigem Rot, ein Stern. Ellen Peters, deren Vater Simex gegründet hat, stört dieses Überbleibsel jüngster Zeitgeschichte keineswegs: »Ich finde es einfach wahnsinnig dekorativ.« Severin Weiland

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