: Man kann es nur »Sterbegeld« nennen
■ Unabhängige Umweltberater kämpfen ums Überleben/ Zugesagte Million für 1991 kam erst im November letzten Jahres — allerdings nur 30 Prozent/ »Mittlerer Skandal«/ Senat gelobt Besserung
Berlin. Die freien Umweltberater sind sauer: Trotz Versprechungen der Politiker befürchten sie, daß ihrer Arbeit langsam der Garaus gemacht werden soll. Die Verwaltung schleife die Finanzierung nur als aufgezwungenes Übel mit und verzögere die lebensnotwendige Finanzierung. Der Senat hält diese Vorwürfe für völlig unberechtigt.
»Ich sehe die Umweltberatung wirklich als ein sehr zentrales Instrument zukünftiger Umweltpolitik«, beteuerte der damalige Oppositionspolitiker Volker Hassemer auf einem Hearing im November 1990. Doch beim Landesverein der UmweltberaterInnen Berlin (LaUB) mag daran niemand mehr glauben. Denn von der für 1991 bewilligten Million gestand der Senat den Gruppen nur gut 300.000 Mark zu — ab Mitte November. Die Existenz einiger freier Umweltberatungsgruppen wurde dadurch stark gefährdet, denn sie erhalten ohnehin keine regelmäßige Unterstützung, sondern hangeln sich von Projekt zu Projekt.
So nehmen sie Analysen von Innenraumluft vor, untersuchen Vertäfelungen und Böden auf Lösungsmittel und andere Gifte, beraten beim Kauf einer Waschmaschine oder von Reinigungsmitteln und untersuchen Muttermilch auf mögliche Schadstoffe. Beraten werden Privatpersonen, Betriebe, Schulklassen oder Lehrerkollegien. Auch die Bezirksämter holen Gutachten bei den Ingenieurbüros ein. Umweltberatung ist in den meisten Bezirken, denen diese Aufgabe obliegt, ohne die freien Träger nicht mehr zu realisieren.
Aber — »Projekte, die für ein Jahr konzipiert sind«, erklärt LaUB-Vorstandsmitglied Wolfgang Endler, »lassen sich unmöglich in sechs Wochen realisieren«. Die Vergabe des Restgeldes zum Ende letzten Jahres bewerte er als »Sterbegeld für freie Umweltberatungsgruppen«.
»Davon kann überhaupt nicht die Rede sein«, wehrt sich Klaus Kundt, Leiter des Öffentlichkeitsreferats bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz. Für 1992 »steht eine Million für die Arbeit der freien Gruppen zur Verfügung«. Der unglückliche Verlauf von 1991 werde einmalig bleiben: »Zu Beginn des Jahres durfte bis zur Regierungsneubildung nichts ausgezahlt werden, dann verhängte der Finanzsenator die allgemeine Haushaltssperre, um den ersten Haushalt für ganz Berlin zu ermöglichen.«
Aber auch in dieser Zeit habe sich die Verwaltung »nicht gerade mit Ruhm bekleckert«, urteilt Peter Braun von »Beratung und Analyse — Verein für Umweltchemie« (B.A.U.CH.). Sie habe die Arbeit beiseite gelegt und verpaßt, mit den Beratungsgruppen Konzepte für kurzfristige Projekte zu erarbeiten. »Dabei haben wir ständig bei der Verwaltung auf der Matte gestanden«, betont Gerd Thorns von der Clearingstelle.
Thorns vermutet, daß die Öffentlichkeitsabteilung fachlich und personell überfordert sei. Sie halte die Gruppen immer wieder hin, da sie für die inhaltliche Prüfung der Anträge »die Kompetenz nicht hat« und »da die Vergabe des Geldes an die vielen einzelnen Träger natürlich Arbeit macht«.
Kundt will davon nichts wissen: Der Projektetat sei wegen jahrelanger Erfahrung mit Bürgerberatung richtig in seiner Abteilung aufgehoben. Zudem garantiere die Fachkompetenz seiner Mitarbeiter, daß die Bearbeitungszeit in Zukunft »14 Tage bis drei Wochen« betragen werde. Er hoffe, das Geld »bereits Ende Februar ausgezahlt« zu haben. Dazu sei es allerdings notwendig, daß die Gruppen ihre Anträge nicht mehr formlos, sondern mit entsprechenden Begründungen vorlegten.
Eine grundsätzliche Förderung der Gruppen werde es jedoch auch in Zukunft nicht geben, betont Kundt: »Das verstößt gegen das Etatrecht, da es die Schaffung neuer Institutionen wäre.« Regelmäßige Zuwendungen erhielten schließlich bereits die Verbraucherzentrale, das Aktionszentrum Umweltschutz und das Verbraucherinstitut. Für die freien Umweltberatungsgruppen werde es aber weiterhin Geld aus dem Projekttopf geben, »wenn diese das Land bei seiner Arbeit kritisch unterstützen«.
Eine interne Umverteilung des Etats werde es nicht mehr geben, versichert Referatsleiter Kundt zudem. Der übergroße Rest der Million, die den Gruppen ursprünglich für 1991 zugesagt worden war, sei »zur Verstärkung anderer Titel« verwandt worden, »weil wir wußten, daß die Gruppen das ganze Geld nicht in sechs Wochen ausgeben können«. Zwar zogen wirklich viele Träger ihre Anträge zurück, doch B.A.U.C.H.-Mitarbeiter Braun bezeichnet das Vorgehen als »mittleren Skandal«. Erst blockiere die Verwaltung die Überarbeitung der Pläne, dann verteile sie eigenmächtig um, »entgegen den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses«. Christian Arns
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