INTERVIEW
: „Unser Land hat sich von den Medien hypnotisieren lassen“

■ Interview mit Todd Gitlin, Soziologieprofessor, Medienkritiker, Golf- und Vietnamkriegsgegner und in den 60er Jahren einer der Führer der „New Left“

taz: Vor einem Jahr sahen die linken Kritiker der Bush-Administration nach dem Sieg im Golfkrieg schon ein neues globales Abenteurertum der USA heraufziehen. Heute debattiert die US-Öffentlichkeit dagegen verschiedene Formen des Isolationismus. Was stimmt denn nun?

Gitlin: Diese Anfälle von Interventionismus und Isolationismus sind nur die Ausschläge in einem manisch depressiven Kreislauf. Das hat etwas Kindisches an sich, wenn die Eliten und die Bevölkerung so zwischen dem „Laß uns überall aufräumen“ und dem „Das soll uns doch alles gleichgültig sein“ hin- und herschwanken. Dennoch kann beides leicht zur Realität werden. Der Krieg im Irak war zumindest teilweise ein Schattenspiel, um die Amerikaner nun davon zu überzeugen, daß der Vietnamkrieg— symbolisch gesprochen — hätte gewonnen werden können. Deswegen befürchtete auch ich vor einem Jahr, daß in dem allgemeinen Enthusiasmus ein solcher Krieg leicht wiederholbar wäre. Als ich dann aber begann, darüber nachzudenken, wo denn diese zukünftigen Interventionspunkte sein sollten, an denen die USA erneut einen so schnellen und leichten Krieg gewinnen könnten — und das auch noch mit so viel nationaler und internationaler Unterstützung — fielen mir keine Szenarios mehr ein. Die politischen Eliten scheinen heute alle Konflikte lieber auszuhandeln.

Die amerikanische Friedensbewegung hatte sich diesmal vorgenommen, aus den Fehlern des Vietnamkriegs zu lernen und nicht gegen die Truppen selbst zu demonstrieren. Doch trotz des Slogans „Unterstützt unsere Truppen — holt sie zurück“ hat sich die Friedensbewegung dann gespalten und am Ende wenig Einfluß auf die Ereignisse gehabt. Was ist da falschgelaufen?

In der Friedensbewegung gab es eine „isolationistische“ Fraktion, die diesem „Krieg um das Öl“ jede Legitimation absprach; und eine „kollektive Sicherheit“-Fraktion, die nicht sofort jegliche Form der militärischen Intervention prinzipiell ablehnte. Ich glaube, daß der stark antiamerikanische Ton der frühen Demonstrationen der isolationistischen Mehrheit ein taktischer Fehler war. Als aber dann der Krieg losging, wußte auch der andere Teil der Friedensbewegung nicht mehr, was sie eigentlich noch machen sollten. George Bush hatte die Sache genial manipuliert. Vor dem Krieg hatte die Friedensbewegung einigen Einfluß, indem sie zum Beispiel gewissen Kongreßabgeordneten in ihrem Votum gegen den Krieg den Rücken stärkte. Doch mit Kriegsbeginn waren alle Aktionen vergeblich. Die Leute wollten einfach keine Argument gegen den Krieg mehr hören.

In Deutschland gab es um den Golfkrieg eine heftige intellektuelle Debatte zwischen Bellizisten und Pazifisten. Was läßt sich in den USA über die Rolle der Intellektuellen und die Proteste an den Unis sagen?

Hierzulande sind die Intellektuellen längst nicht so auf die Politik konzentriert und organisiert. In Deutschland war jeder daran interessiert, was Habermas oder Biermann sagen würden. In den USA haben wir solche Figuren einfach nicht, auch keine zentrale Arena für einen derartigen intellektuellen Wettstreit.

Hat sich das Debattenklima denn seit dem Vietnamkrieg so sehr verschlechtert?

Es ist seltsam, der Krieg war so ein eindrucksvolles Ereignis, daß wir darüber ganz vergessen, was für eine heftige und sogar wohlartikulierte Debatte wir zwischen November und Januar in diesem Lande hatten. Schließlich war die gesamte Öffentlichkeit bis zum 15.Januar in der Kriegsfrage durchaus gespalten. In dieser Diskussion war auch die intellektuelle Welt durchaus involviert und braucht sich ihrer gar nicht zu schämen. Und daß die Friedensbewegung diesmal eine breitere soziale Basis hatte als die eher auf die Universitäten konzentrierte Anti-Vietnamkrieg-Bewegung, ist ja gar keine schlechte Entwicklung gewesen.

Der Golfkrieg hat weniger die Art verändert, in der wir Kriege führen, sondern wie wir sie wahrnehmen. Wo würden Sie diesen Krieg in der Geschichte des Fernsehens einordnen?

Die schlimme Wahrheit über diesen Krieg und das Fernsehen ist, daß die meisten Leute selbst heute noch glauben, sie hätten diesen Krieg auf dem Bildschirm wirklich gesehen. Dabei haben sie dort nur eine irreführende Version des Krieges gesehen, eine Show. Unser Land hat sich von den Medien hypnotisieren lassen, von Medien, die sich ihrer Rolle dabei durchaus bewußt waren.

Haben die USA, wie George Bush es ausdrückt, mit dem Golfkrieg das „Vietnamsyndrom in den Hintern getreten“, oder hat der Krieg auch als Therapie versagt?

Selbst wenn die USA nun am Golf den Vietnamkrieg noch nachträglich und symbolisch gewonnen haben, dann wird diese Erfahrung nur schwer zu wiederholen sein. Die Stimmung der Öffentlichkeit ein Jahr danach zeigt uns, daß es ein Thema gibt, über das die Bürger nicht allein durch die Medien informiert werden: Das ist die wirtschaftliche Situation. Zur Erfahrung einer Rezession braucht man das Fernsehen nicht, das merkt man in der eigenen Brieftasche, beim Einkaufen, am Arbeitsplatz. Da lassen sich die Leute eben nicht hinters Licht führen. Das Gespräch führte Rolf Paasch