Großmannssucht und Kaufmannssehnsucht

■ Die Hamburger Kampnagelfabrik in der Krise

Gewagtes Theater hat in Hamburg einen schweren Stand. Projekte, die nicht den faden Geschmack der Hamburger Kontorsklaven befriedigen und sich der Position verschrieben haben, Theater müsse mehr sein als Unterhaltung, bekommen am Tor zur Welt die Seuche. Letztes und prominentestes Beispiel in einer Reihe von Hamburger Theaterkrisen ist jetzt der Skandal um die „Internationale Kulturfabrik Kampnagel“.

Der Komplex, der auf 12.000 Quadratmetern fünf Bühnen unterschiedlicher Größe und zwei Galerien beherbergt, ist Deutschlands vielleicht bekannteste Spielstätte freier Gruppen. Nach jahrelangen Querelen um den Erhalt der ehemaligen Gabelstapler-Fabrik, auf deren Gelände der Senat ursprünglich Sozialwohnungen bauen wollte, konnte 1990 mit der Stadt ein Vertrag ausgehandelt werden, der den Bestand des Theaterzentrums bis 1996 sichert. Doch das nationale und internationale Renommé, das sich Kampnagel erarbeitet hat, kehrt nun wie ein Bumerang zurück und verlangt seinen Tribut. Dieses Renommé wurde nämlich hauptsächlich mit der Verpflichtung teurer Gastspiele erworben, die aber, auf Grund der hanseatischen Zurückhaltung gegenüber Avantgarde-Produkten, tiefe Gräben in die Etat-Kasse fraßen. Mit einer „Der Herr wirds schon richten“-Mentalität wurden so Gagen, unter anderem für Peter Brook und Deschamps & Deschamps, bezahlt und kostspielige Auflagen erfüllt, die nun zur Existenzkrise geführt haben. Die freundlichste Schätzung des Defizits, die vom Geschäftsführer des Geländes, Hans Man in't Veld, stammt, spricht von 600.000 Mark, was bei einem künstlerischen Etat von cirka einer Million dem Harakiri nahekommt. Die Forderungen, die das nach sich zieht — „restriktive Ausgabenpolitik“ von seiten der Stadt, „mehr Einnahmen erzielen“ von seiten des Trägervereins — führen zwangsläufig zum künstlerischen Spagat zwischen Klotzen beim Kommerz und Kleckern bei der Kunst. Die Identität des Geländes als Laboratorium für innovative Theaterarbeit wäre damit grundsätzlich gefährdet.

Gleichzeitig legte die Krise die explosive Spannung offen, die auf dem Gelände zwischen den dort Produzierenden, der Leitung und den Eigentümervertretern schwelt. Mangel an Kommunikation und Mitbestimmung, feudale Hofhaltung und verantwortungslose Großmannssucht beklagen die Regisseure und Schauspieler der Hamburger freien Gruppen, denen das Gelände als Produktions- und Anlaufstätte dient. Da der Trägerverein des Geländes nur abwiegelt und der amtierende Geschäftsführer keine klare Stellung bezieht, läuft die Aufforderung nach einer grundsätzlichen, konzeptionellen Debatte momentan noch ins Leere. Dennoch, soviel ist sicher, sollte die Chance zu einem Neuanfang jetzt vertan werden, wird die Existenz des ganzen Geländes gefährdet sein, denn Hamburgs Kanalarbeiter in der Baubehörde haben Eimerchen und Schaufel stets parat. Till Briegleb