„Immer widerspruchslos untergeordnet“

■ Prozeß gegen die RAF-Aussteigerin Monika Helbing begann/ RAF wurde ihr vom „Schutz“ zur „Bedrohung“

Stuttgart (ap) — Die RAF-Aussteigerin Monika Helbing hat am ersten Tag ihres Prozesses vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht beteuert, daß sie nicht in Entscheidungen der terroristischen Rote Armee Fraktion einbezogen gewesen sei. Die 38jährige Gesundheitsfürsorgerin muß sich unter anderem wegen fünffachen Mordes, wegen versuchten Mordes und schwerer räuberischer Erpressung verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft der im Juni 1990 unter dem Namen Monika Winter in der ehemaligen DDR Festgenommenen vor, im Herbst 1977 am Mord an Arbeitgeberpräsident Schleyer und seinen vier Begleitern beteiligt gewesen zu sein. Außerdem soll sie im August 1977 an dem mißglückten Raketenwerferanschlag auf die Bundesanwaltschaft und im April 1979 an einem Bankraub mitgewirkt haben.

Sie habe nach einem abgebrochenen Pädagogikstudium 1975 in Karlsruhe eine Ausbildung als Krankenschwester begonnen, sagte die Angeklagte. Ein Jahr zuvor hatte sie Adelheid Schulz und Günther Sonnenberg kennengelernt und von ihnen über die Isolierhaft der Stammheimer RAF-Gefangenen erfahren. In ihren Augen habe sich die Bundesrepublik damals wie ein faschistoider Staat verhalten. Später habe sie sich nur noch in der Frauenbewegung engagiert.

Nach der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback im April 1977 habe auch bei ihr eine Hausdurchsuchung stattgefunden. Weil sie sich äußerst bedroht gefühlt und Angst vor einer Verhaftung gehabt habe, habe sie über das Stuttgarter Rechtsanwaltsbüro Croissant wieder Kontakt zu ihren früheren Freuden aufgenommen. Mitte Juli 1977 habe sie sich mit Christian Klar und Rolf Heissler getroffen und eine Waffe erhalten. „Die RAF war damals für mich moralisch immer im Recht — so unsinnig mir das heute vorkommt. Ich habe mich deshalb widerspruchslos untergeordnet.“

Sie räumte ein, nach ihrem RAF- Eintritt davon erfahren zu haben, daß ein Industrieller entführt werden sollte. Um wen es sich handelte, habe sie jedoch nicht gewußt, da sie bei den Diskussionen nicht dabei und in die Entscheidungen nicht einbezogen gewesen sei. Zu den Leuten, die das Sagen hatten, zählte sie Rolf Clemens Wagner, Stefan Wisniewski, Peter-Jürgen Boock, Adelheid Schulz und Brigitte Mohnhaupt.

Monika Helbing gab zu, die Fahrtroute Schleyers anfänglich ausgespäht zu haben. Als sie Schleyer einmal an einer Stelle nicht gesehen habe, obwohl sie ihn dort hätte sehen müssen, sei sie von der Gruppe stark kritisiert worden. Sie sei von den anderen RAF-Mitgliedern für ungeeignet gehalten worden. Die Gruppe habe die Meinung vertreten, daß sie „zu unvorbereitet und zu schnell“ zur RAF gekommen sei. Deshalb habe man ihr nahegelegt, erst einmal zur Ausbildung in ein Palästinenserlager zu gehen, um sich darüber klar zu werden, ob sie bei der RAF bleiben wolle.

Sie habe sich danach in einer konspirativen Wohnung in Hannover aufgehalten und dort nur noch kleine Aufträge ausgeführt. Nach der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto im Juni 1977 habe sie einen „Einbruch von Realität“ erlebt, sagte sie. „Nachdem ich zuvor die RAF als Schutz vor meiner eigenen Verhaftung sah, wurde sie jetzt zur Bedrohung“, erklärte sie. Im Oktober 1977 habe sie ein sehr „offenes und freundschaftliches Gespräch“ mit Silke Maier-Witt geführt und dieser ihre Situation geschildert. Sie habe Maier-Witt erklärt, daß sie aus Angst nicht mehr in die Legalität zurück könne, daß sie aber auch nicht in der RAF bleiben könne. Der Aufenthalt in einem Palästinenserlager sei ebenfalls nicht in Frage gekommen.

Nach ihrer Trennung von der RAF war die Angeklagte im Oktober 1980 in die frühere DDR übergesiedelt und dort am 14. Juni 1990 festgenommen worden. Im September 1990 wurde sie in die Bundesrepublik gebracht und befindet sich seither in Untersuchungshaft. Seit Herbst 1981 ist Monika Helbing mit dem RAF-Aussteiger Ekkehard von Seckendorff-Gudent alias Horst Winter verheiratet. Das Verfahren gegen ihren Ehemann, mit dem sie einen zehn Jahre alten Sohn hat, wurde eingestellt.