Die Gezeiten des Irrsinns

Die beiden Filme „Der Illusionist“, 23.40 Uhr, und „Der Weichensteller“, am 29.1., des niederländischen Regisseurs Jos Stelling im ZDF  ■ Von Manfred Riepe

Der Illusionist (Freek de Jonge) lebt zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder in einer Windmühle. Da gibt es jede Menge Fliegen. Aber das ist nicht das Hauptproblem. In seinen Tagträumen tritt der Illusionist als gefeierter Alleinunterhalter vor ein imaginäres Publikum. Als der Bruder (Jim van der Woude) in seiner Illusion auftaucht, um den Erfolg zu sabotieren, entgleist der Wunschtraum zum Alptraum.

In der Psychiatrie, in die der Illusionist darauf interniert wird, tragen alle Patienten eine verdächtig lange Operationsnarbe am Schädel. Zu spät erst gelingt es dem Bruder, den Illusionisten aus dieser Klapsmühle voller Gehirnpferdedoktoren zu befreien.

Die Flucht endet auf jener Bühne, auf der sich der Illusionist anfangs in seiner Vision spielen sah. Nach einer erfolgreichen Vorstellung, die Erfüllung seiner Träume, applaudiert das Publikum, und der Illusionist reißt sich lachend eine geschminkte Narbe von der Stirn. Die echte Narbe trägt eigentlich der „gesunde“ Bruder. Doch dem ist trotzdem eher zum Lachen zumute. Nach dem Motto: Wir schicken Ihnen jemand hinterher, der unauffällig aufpaßt, daß Ihnen niemand folgt...

Der niederländische Autodidakt Jos Stelling, Jahrgang 1945, Konditorsohn, ist eigentlich ein schwärmerischer Bildkompositeur. Da mag an seiner nicht zu verleugnenden Herkunft liegen. Stelling hat am gleichen Tag Geburtstag wie der Altmeister Rembrandt und verlor auch seinen Vater im gleichen Alter wie der holländische Leinwandstar. Sein Debütfilm Mariken van Nieumeghen (1974), die Verfilmung eines holländischen Mirakelspiels aus dem 15.Jahrhundert, war der erste Film, der die Niederlande bei den Filmfestspielen in Cannes vertreten durfte.

Doch danach ging es abwärts. Die nächsten drei Filme des Regisseurs fielen durch. Der Vorwurf: wunderschön arrangierte Bilder, aber sie bewegen sich nicht. Keine Story. Erst die Bekanntschaft mit dem holländischen Kabarettisten Freek de Jonge löste eine kreative Explosion bei Stelling aus. Der Illusionist (1983), ein filmisches Meisterwerk und eines der seltsamsten dazu, basiert auf dem Kabarettstück Die Tragik aus der Feder de Jonges. Es geht um Sein und Schein, Illusion und Wirklichkeit. Doch diese komplizierten Fragen beantwortet Stellings Film auf eine recht kurzweilige Art, nämlich gar nicht. Das vergnügliche Verwirrspiel besteht aus einer Kette aberwitziger Situationen. Am Ende droht nicht das transzendente Fragezeichen, sondern entspannte Heiterkeit. Der ganz ohne Dialoge auskommende Film lebt von seinen urkomischen Bildern und der skurrilen Erscheinung Freek de Jonges, der uns durch Brillengläser anschaut, die dick sind wie Glasbausteine. Wo Fellini mit seiner Theatralik entweder nostalgisch oder unerträglich opulent wird, bewahrt Der Illusionist die Ballance zwischen Poesie und derbem Witz.

Mit seinem nächsten Film Der Weichensteller von 1985 (am 30.1.) gelang es Stelling, sich tatsächlich noch einmal zu übertreffen. In einem abgelegenen Stellwerk, einer Art Vorposten der Zivilisation, lebt der Weichensteller (Jim van der Woude) in Eintracht mit Maschine und Natur. Da nur einmal im Jahr ein Zug fährt, muß die irrtümlich ausgestiegene Frau (Stephane Excoffier) überwintern. Auf den Einbruch der Frau folgt die Zerstörung der hermetischen Enklave des Weichenstellers. Stelling hat in diesem ebenfalls nahezu sprachlosen Film sein stilistisches Repertoire mit einer ausgeklügelten Farbdramaturgie erweitert.

Gab es in Der Illusionist gelegentliche Ausrutscher ins Alberne, so überzeugt Der Weichensteller durch seine präzise dosierte Situationskomik, die von der großartigen schauspielerischen Leistung Jim van der Woudes getragen wird. Man ist schon fast dankbar, wenn man sich mal ein paar Minuten nicht vor Lachen den Bauch halten muß.

Zur Zeit arbeitet Jos Stelling an einer Adaption des Fliegenden Holländers.