Ruhe nach dem Sturm?

■ Der Rückgang ausländerfeindlicher Aktionen ist kein Grund zur Entwarnung/ Falsche Erklärungen — untaugliche Strategien

Verglichen mit dem „deutschen Herbst“ des Jahres 1991, scheint die abnehmende Zahl von Überfällen auf Ausländer und Heime von AsylbewerberInnen Entspannung zu signalisieren. Zeigen die nach mehr als schleppendem Beginn laufenden Aktivitäten gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt bereits Wirkung?

Skepsis ist angebracht, denn die Auseinandersetzung mit der Fremdenfeindlichkeit und der Gewalt findet im Grunde gar nicht statt. Veränderungsprozesse sind Interaktionsprozesse. Bei uns aber kocht vieles im „eigenen Saft“. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in Veranstaltungen und auf Demonstrationen bleiben „unter sich“. Das ist gut für die Selbststärkung, aber es ist auch ein Ausweis der Distanz-Gesellschaft, in der die Verständigungsprobleme wachsen. Gleichzeitig nehmen die Neigungen zu personenbezogener Ursachenzuschreibung zu, gewissermaßen als „seitenverkehrter Biologismus“: Die Jugendlichen sind eben so. Fremdenfeinde sind es, die ins „Visier“ genommen werden, die Mechanismen der Entstehung von Fremdenfeindlichkeit aber bleiben im toten Winkel.

In der Rangliste der beliebtesten „Überzeugungsargumente“ sollen die Fremdenfeinde dann mit rationaler Argumentation, vorzugsweise mit der „Nutzen“-Kalkulation traktiert werden. Aber diese Kalkulation hat an der entscheidenden Stelle ein Loch. Emotionale Problemlagen wie Unbehagen an der eigenen Lebenssituation, Angst, auch Haß sollen einfach in rationale Problemlagen umgedeutet werden. Aber leider gibt es in der ganzen Vorurteilsforschung keinen Hinweis darauf, daß das „funktionieren“ kann, denn Vorurteile sind ja vorrangig für denjenigen besonders wichtig, der sich selbst „stabilisieren“ muß — und sei es auf menschenverachtende Art gegenüber Fremden. Anders würde es sich nur verhalten, wenn die gestreßten Aggressoren sich nach einer „subjektiven Kalkulation“ eine Lockerung von Vorurteilen leisten zu können glauben. Dieser Weg führt aber nicht über Belehrungen, denn sie kommen gegen Erfahrungen nicht an. Der einfachen rationalen Nutzen- Kalkulation kommt ein weiterer Wahrnehmungsmechanismus in die Quere: Wir glauben in der Regel das, was wir glauben wollen. Und auch das ständige Insistieren darauf, daß die betreffenden Personen doch keine Angst zu haben bräuchten, verkennt die Tragweite des Umstandes, daß für denjenigen, der sagt, daß er Angst habe, diese Angst real ist. Hier zieht die einfache, scheinbar überzeugende Nutzen-Argumentation mit ihren präzis erscheinenden Zahlen überhaupt nicht mehr. Darüber hinaus ist sie gefährlich, da sie dazu verleitet, vorrangig konjunkturabhängig benutzt zu werden. Wie stünde es um das Argument: „Wir brauchen die Gastarbeiter, sie gefährden keine Arbeitsplätze“, wenn sich die düsteren 92er Konjunkturprognosen bewahrheiten sollten?

Helfen die Medienkampagnen?

Aber sind da nicht noch die Medienkampagnen, von denen ein Frankfurter Werbemanager behauptet hat, daß man mit ihren Methoden auch 1933 hätte verhindern können? Na ja. Es ist keine Frage, daß viel gewonnen wäre, wenn die „Schweigespirale“ wirksam würde. Der Fremdenhasser sieht sich angesichts der Fernsehkampagne als Minderheit und zieht es vor, seine fremdenfeindlichen Äußerungen zu dämpfen bzw. nur im prrivaten Kreis zu äußern. Die Reichweite der Medienkampagnen, einmal abgesehen von ihrer vielfältigen Einfältigkeit, blieben in jedem Fall begrenzt, weil bestenfalls eine Latenz erreicht wurde. Das heißt, die fremdenfeindlichen Äußerungen wären vorhanden, aber nicht politisch wirksam. Eine riskante Angelegenheit. Zweifellos kann Vorurteilsunterdrückung mit Erfolg betrieben werden, wie die Geschichte des Antisemitismus in der Bundesrepublik zeigt. Dies ist aber an eine zentrale Bedingung geknüpft: es bedarf eines „wasserdichten“ politischen Konsenses. Davon ist keineswegs auszugehen: die Zündelei von wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Eliten, Politikern, Medienmachern ist offenkundig.

Hartes Durchgreifen gegen einzelne Fremdenfeinde, gewissermaßen Ausgrenzen durch Einsperren, gehört ebenfalls ins beliebte Inventar. Daß strafrechtliche Verfahren am Platze sind, ist dabei nicht die Frage, sondern ob sie politische Wirkungen haben. Dies hängt vor allem von der Selbstdefinition der inkriminierten Gruppe ab. Überall dort, wo das beispielsweise abwertend gemeinte Etikett „Neonazi“ umdefiniert worden ist in einen Elitebegriff, dürften die politischen Wirkungen gering sein, denn dort wird Abschreckung zum Märtyrertum. Nun wird oft behauptet, man müsse die „Wackeligen“ von den „Harten“ trennen. Dies gelänge am besten durch Ausgrenzen. Dabei wird gleichzeitig die fatale Wirkung von Etikettierungen übersehen. Die Etikettierten passen sich häufig erst im nachhinein in ihrem realen Verhalten den Etiketten an. Auch hier hängt etwa beim Neonazi-Etikett vieles von der zugeschriebenen subjektiven Bedeutung ab: es ist eben nicht nur Abwertendes zu erfahren, sondern die entsprechenden Personen nehmen auch wahr, was sie damit „gewinnen“: Angst bei jenen, die die Etiketten verteilen, und damit eigenen Machtzuwachs.

Zuwachs sozialer Eruptionen

Trotz all dieser Kritik existiert nun aber die abflauende Zahl der Überfälle. Dieses „Abflauen“ ist eher das Resultat der „Ermüdungserscheinungen“ aktiver Cliquen und Gruppen und der immer schnell abnehmenden Zahl der „Nachahmungstäter“ einerseits, der Eigendynamik „sozialer Eruptionen“ andererseits. Genau im eruptiven Charakter der „Vorfälle“ und der „Welle“ liegen die Probleme, denn die öffentlichen und politischen Reaktionszeiten werden immer knapper. Gegenüber dem eruptiven Aufbrechen, zeitlich unberechenbar, örtlich nur mühsam lokalisierbar, räumlich weitgehend „planlos“, förmlich unstrukturiert, „spontan“ und mit hochgradiger Intensität von Gewalt, sind die bisherigen Ansätze schwerfällig und bestenfalls mit Zeitverzug partiell wirksam. Dagegen sind jene informellen Gruppen und Cliquen von zumeist Jugendlichen aus dem rechtsextremen Spektrum, gewissermaßen die „Roten Zellen der 90er Jahre“ beweglicher. Es bedarf keiner großen Prophetie, daß die eruptiven Konflikte, die in ethnischen Zusammenhängen selten ohne Gewalt ausgehen, zunehmen werden. Dies dürfte in dem Maße geschehen, in dem Integrationsprobleme der Zugewanderten mit innergesellschaftlichen Desintegrationsproblemen der Ansässigen zusammenfallen. Das eine wie das andere nimmt zu. Gleichzeitig existiert keine multikulturelle Konfliktforschung, die sich dieses auf Dauer gestellten Konfliktherdes annimmt.

Während Eruptionen der beschriebenen Art sich jederzeit wiederholen können, weil sie in der Ambivalenz der Modernisierungsprozesse begründet sind, können die derzeitigen Medienkampagnen als eine Form des Politikersatzes kein zweites Mal initiiert werden. Statt dessen dürfte die Gefahr innenpolitischer Aufrüstung zunehmen. Man will rascher reagieren können. Aber es dürfte klar sein, daß, während möglicherweise die geplanten Sammellager für Asylbewerber „geschützt“ werden könnten, dies nicht für die Einzelwohnungen von Ausländern gilt. Man wird die nächste Gewalt schlicht in Kauf nehmen, wobei das Wort „Welle“ hilfreich zur Seite steht. Wellen zeichnen sich bekanntlich dadurch aus, daß sie vorübergehen.

Das unterschiedslose und massenweise Festnageln von Jugendlichen auf dem Etikett „Neonazi“ liegt durchaus im Interesse der etablierten Politik. Auf diese Weise bekommt die zumeist diffuse Gewalt eine genaue Richtung, und man kann ziemlich sicher sein, daß sich ihr menschenverachtendes Handeln weiterhin gegen rechtlose einzelne Fremde richtet. Die Etikettierung hält die Jugendlichen davon ab, ihre Aktionen in sozialen und politischen Protest zu verwandeln und gegen die „Etablierten“ zu richten, die es sich so schön auf der Sonnenseite der Modernisierung eingerichtet haben. Wilhelm Heitmeyer, Soziologe, Uni Bielefeld