Die Täter sind der Hölle entstiegen

In der neuen Gedenkstätte im Berliner „Haus der Wannsee-Konferenz“ haben Täter keine Biographie  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Seit vergangenen Montag ist die Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ für jedermann zugänglich. Das Haus, in dem vor 50 Jahren nationalsozialistische Funktionäre die Modalitäten des Völkermords an den europäischen Juden besprachen, ist gut gesichert. Besucher haben zu klingeln, erst nach einem Blick der Pförtner auf die Videoüberwachung klickt das eiserne Gitter auf.

Seit dem Eröffnungstag ist die Gedenkstätte mit täglich etwa 300 Besuchern überaus gut besucht. Es ist die erste zentrale Einrichtung in Deutschland, die mit einer Dauerausstellung an die Geschichte des Holocausts erinnert. Sie soll aber nicht nur ein Ort des Gedenkens sein, sondern, wie es der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Heinz Galinski formulierte, ein „Lehrhaus der Demokratie“ werden. Hier soll Bildungsarbeit stattfinden. Als Ansatz neu ist der Versuch, Berufstätigen, zum Beispiel Eisenbahnern oder Beschäftigten des Gesundheitswesens, an entsprechenden Dokumenten und Fachzeitschriften aus der NS-Zeit zu zeigen, wie ihre Berufsgruppe damals arbeitsteilig an der Durchführung der „Endlösung“ beteiligt war. Die erste Lehrveranstaltung war für die Gewerkschaft ÖTV. Bis Ende der Woche läuft ein Seminar über „Judenmord und öffentliche Verwaltung“. Der stellvertretende Vorsitzende der ÖTV, Wolfgang Warburg, sagte zu Beginn der Veranstaltung, daß die Beiträge der Gewerkschaften an der Aufhellung der Vergangenheit bislang „viel zu gering“ gewesen ist. „Wenn es darum ging, Schuldige und Mitwisser oder Täter in den Amtsstuben oder an Schreibtischen ausfindig zu machen, waren wir selbst nicht besonders eifrig.“ Die Gewerkschaft will das Thema öffentliche Verwaltung und Nationalsozialismus jetzt fest in ihr Bildungsangebot aufnehmen. Eine feste Kooperation wurde vereinbart.

Die ständige Ausstellung von Fotos und Dokumenten im Parterre der Gedenkstätte soll nach dem Willen des Trägervereins, in dem der Bund, das Land Berlin, der Zentralrat der Juden und die beiden großen Kirchen zusammenwirken, die Bildungsarbeit unterstützen. Zu fragen ist daher, ob sie es wirklich tut. In der Senatsvorlage von 1991 heißt es zur Konzeption: „Die scheinbar abstrakten administrativen Vorgänge, wie sie in den Akten der Verwaltungsbürokratie festgehalten sind, müssen in die konkrete Anschauung übersetzt werden, was der Mensch dem Menschen angetan hat. Die Opfer müssen ebenso sichtbar werden wie die Täter und das System, das die einen wie die anderen zu dem machte, was sie wurden.“ Dieses Ziel löst die Ausstellung nicht ein. Vom pädagogischen Begleitprogramm und von der Mediothek erscheint sie wie abgetrennt.

Denn zu sehen ist eine Dokumentation, die im Prinzip seit Jahren bekannt ist. Der Leiter der Ausstellung, Gerhard Schoenberner, hat sein Lebenswerk, „Der gelbe Stern“, jetzt zum vierten Mal verarbeitet. 1962 erschien sein damals vielbeachtetes Buch, 1977 folgte ein gleichnamiger Kurzfilm, 1980 ebenfalls unter dem gleichen Titel die abendfüllende Dokumentation. Fünf Millionen Mark hat die Ausstellung, an der Schoenberner seit 1986 arbeitet, gekostet. Das ist relativ wenig, wenn man bedenkt, daß die Bedeutung dieses Hauses als Partnerinstitution der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und des Holocaust-Memorial Museum in Washington hoch angesiedelt ist.

Präsentiert wird in 14 Stationen — aufgeteilt in Bereiche wie Diktatur in Deutschland, Vorkriegszeit, Krieg in Polen, Ghettos, Massenerschießungen bis hin zur Station Befreiung— ein grauenhaftes Foto nach dem anderen. An keiner Stelle aber wird wenigstens die Erinnerung an sie lebendig. Jedes Foto zeigt Massen von Leibern. Zu Tausenden werden sie in die Deportationszüge gequetscht, später schieben Räumfahrzeuge Berge von Leichen zusammen. Die Opfer bleiben immer anonym. Aber nicht nur die Opfer haben keine Biographie. Sie scheinen wie aus der Hölle auf die Erschießungsplätze in Osteuropa und anschließend wieder in den Orkus gestiegen zu sein. Aber das ist nicht wahr, die Täter hatten ihre Geschichte, ihre Namen sind bekannt, und die meisten von ihnen begannen eine neue Karriere in unserer demokratischen Republik. Diese Anonymisierung der Täter widerspricht ebenfalls dem Konzept, das der Berliner Senat mit den Worten beschloß: „Die Erinnerungsstätte (...) ist auch ein Ort der Täter. Deren Situation, ihre Wurzeln in der Bürokratie und durch sie exemplifizierte Gefahr, zum Täter zu werden, müssen an diesem Ort deutlich werden.“

Einen Namen, einen Dienstgrad, eine von Institutionen festgelegte Funktion bei der Ermordung der europäischen Juden haben nur die direkt Beteiligten der Wannsee-Konferenz. Aber selbst diese Angaben lesen sich wie ein Who is who. Sie erscheinen wie perverse Oberverbrecher, Gott sei Dank, daß die meisten von ihnen kurz vor oder kurz nach Ende des Krieges starben. Im absolut dunkeln bleiben die Karrieren der Täter von nebenan. Wer, warum und welche Umstände beispielsweise trieben einen normalen Mediziner dazu, Menschenversuche für Forschungsinstitute in den Konzentrationslagern durchzuführen und später Frauenarzt in einer Universitätsklinik zu werden? In dieser Ausstellung wird konsequent jeglicher Bezug zur Gegenwart ausgespart. Selbst dort, wo er ohne Mühe herstellbar gewesen wäre. Zum Schluß der Dokumentationsschau werden die Besucher mit einem Bild der Grabschändung eines jüdischen Friedhofs verabschiedet. Aber selbst dieses Foto stammt nicht aus dem Jahre 1991 — und da gab es immerhin so manche Grabschändung —, sondern aus dem Jahre 1960.

Geöffnet ist die Gedenkstätte am Großen Wannsee 56-58 Mo bis Fr 10 bis 18 Uhr. So 14 bis 18 Uhr.