INTERVIEW
: Stahlkocher stehen kurz vorm Streik

■ Harald Schartau ist Kommissionsmitglied und Dortmunder IG-Metall-Bezirkssprecher

taz: Herr Schartau, die Tarifverhandlungen für den Stahlbereich sind in der Nacht zum Dienstag gescheitert. Die Arbeitgeber verbreiten, sie hätten zuletzt 5,7 Prozent geboten, die Gewerkschaft spricht von 5,39 Prozent. Wie erklärt sich der Unterschied?

Harald Schartau: Die Differenz kommt zustande, weil die Pauschalen von 220 Mark für die ersten drei Monate in Prozente umgerechnet werden müssen. Wir nehmen das durchschnittliche Bruttoeinkommen in der Eisen- und Stahlindustrie als Basis. Die Arbeitgeber beziehen sich auf einen geringeren — uns nicht bekannten — Lohnbetrag, um ihr Angebot künstlich hochzurechnen.

Wenn die Arbeitgeber gestern einen Abschluß mit einer sechs vor dem Komma angeboten hätten, wäre eine Einigung erzielt worden?

Nein, denn wir haben zwei Ziele im Auge. Wir wollen erstens durchsetzen, daß die Einkommensentwicklung im Stahlbereich nicht von der allgemeinen Tarifentwicklung des vergangenen Jahres abgekoppelt wird. Dabei spielt der Metallabschluß von 6,7 Prozent für das Jahr 1991 eine Rolle. Unser zweites Ziel besteht darin, auch den in der Stahlindustrie geltenden Ecklohn dem in der Metallindustrie durch eine Vorweganhebung anzugleichen. Beim jetzigen Arbeitgeberangebot wären beide Ziele auch nicht ansatzweise erreicht.

Wie teuer käme denn ihr Gesamtpaket?

Wenn wir beide Ziele erreichen wollten, dann müßten wir die vorweg 16 Pfennige pro Stunde plus 6,7 Prozent von Anfang an haben. Unser Kompromißvorschlag sah vor, für die ersten 2 Monate 300 Mark, dann 6 Monate 5,3 Prozent mehr Lohn und für die letzten 4 Monate die Vorweganhebung plus 6,7 Prozent.

Was kostet die Vorweganhebung in Prozent?

Die Vorweganhebung bedeutet, daß sich der Tariflohn um 1,1 Prozent erhöht. Da sich die Vorweganhebung aber auf die übertarifliche Bezahlunganrechnen läßt, macht die Anhebung real nur 0,3 Punkte aus.

Auch nach einem Streik dürften Sie insgesamt kaum mehr als 6,5 Prozent durchsetzen können. Glauben Sie, daß sich die IGM-Mitglieder wegen einer Differenz von einem Prozent in den Streik schicken lassen?

Es geht nicht nur um ein Prozent, sondern um die Angleichung an die Metallindustrie. Die hochqualifizierten Stahlbelegschaften haben überhaupt kein Verständnis dafür, daß ausgerechnet die Stahlarbeitgeber sie auf dem Altar konservativer Verteilungspolitik opfern wollen.

Die Stimmung ist doch nicht eindeutig. Rufe nach Annahme des Angebots hört man ebenso wie die Forderung nach sofortigem Streik.

Ich schätze die Stimmung anders ein. Was die Mitglieder tatsächlich wollen, wird die Urabstimmung zeigen. Ich bin zuversichtlich, daß wir die erforderliche Mehrheit von 75 Prozent für einen Streik erreichen.

Gibt es noch eine Einigungsmöglichkeit bis zum Beginn der Urabstimmung?

Ich stehe noch unter dem Eindruck der letzten Nacht. Da sah es nicht danach aus, daß sich die Arbeitgeber bis zur Urabstimmung am Sonntag noch bewegen. Interview: Walter Jakobs