: Lustvoller Griff ins Gruselkabinett
■ Im »fsk«-Kino in der Wiener Straße 20 läuft eine Reihe der besten Dokumentarfilme vom Duisburger Festival
Es begann alles damit, daß er Fritz Langs Film Die Frau im Mond gesehen hatte, einmal, zweimal... insgesamt wohl an die zwanzigmal. Danach lief der Stummfilm Abend für Abend vor seinen Augen ab. Heute ist er ein alter Mann, und er geht noch immer tagtäglich »spielen«. In das Nasa-Forschungscenter. Tatsächlich, der Raumfahrttechniker sagt »spielen«. Er hat, als einer von 400.000 Menschen, angestellt bei 20.000 verschiedenen Firmen, das Prinzip »Rakete« der »Abwehrwaffe« Hitlers weiterentwickelt und diese ins Weltall geschickt; erst mit einem Affen, dann mit Menschen besetzt. Ein neues Zeitalter habe damit begonnen, philosophiert er. Der Homo terrestris habe sich quasi zum »Homo spatianis«, dem Weltraum- Menschen, gemausert. Stattgefunden habe ein Evolutionssprung, vergleichbar mit dem der Lurche, die vor 400 Millionen Jahren aus dem Wasser ans Land gingen.
Gestern war heute noch morgen — gestern noch erfand Fritz Lang in seinem Film den Countdown, heute wird er bei der Nasa und anderen Space- Laborarities herabgezählt, gestern noch träumte ein 14jähriger Wernher von Braun sich in das All, heute träumen, nein: planen die führenden Köpfe des Weltalltechnik-Konzerns »von Braun«, das unendliche schwarze Loch mit Eliten zu besiedeln. Science-fiction? Nein, ein Dokumentarfilm. Gestern war heute noch morgen (von Roswitha und Gerhard Ziegler und Rebecca Harms von der Wendländischen Filmcooperative) gehört zu den besten Dokumentarfilmen, die dieses Jahr auf dem Duisburger Dokumentarfilmfestival liefen. Zu sehen ist der Film im »fsk«- Kino vom 23. Januar bis 5. Februar zusammen mit vier weiteren Filmen des Festivals.
Gestern, heute, morgen — drei Worte, die die fünf Filme treffend zusammenfassen. Die Besiedelung des Weltraums — ein alter Traum, ein Projekt der Zukunft. Heute denkbar, morgen machbar. Genauso wie der gentechnologisch manipulierte Mensch. Entstehen wird ein neuer, besserer Mensch, der in ...und andere Ergüsse (Regie: Miriam Quinte und Juliane Gissler, Medienwerkstatt Freiburg, 1991) von den Technologen, die sich als Philosophen ausgeben, erdacht wird. Die Gedankenkonstrukte der beiden Filme laufen direkt aufeinander zu, verschmelzen zu einem: Der Mensch, an dem Gen- Wissenschaftler alles auf Wunsch wachsen lassen wollen, könnte dereinst die sich selbst reproduzierenden Inseln im All bevölkern.
Beide Dokumentarfilme zitieren vorwiegend Wissenschaftler aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Gentechnologie erklären die Wissenschaftler hier unumwunden (und fest den Fußstapfen der Rassentheoretiker folgend) zur Retterin der Menschheit; der Pöbel wird mit Genies, gezeugt von Intellektuellen, also vorwiegend Gentechnologen, »angereichert«. Und die Besiedelung des Weltalls rettet den Menschen (mit der Raumfahrttechnologie in »partnerschaftlicher Weise«, untrennbar verschmolzen zu einem Wesen »auf einer höheren Bewußtseinsebene«) vor seiner »feindlichen Umgebung«. Gemeint ist die Natur, die, so ein Nasa-Forscher, feindlich sein muß. Andernfalls würde sie den Menschen nicht solche Probleme machen. Eine einfache Rechnung: Mensch = gut, Natur = schlecht. Gutes, also der Mensch, kann nur Gutes schaffen.
Die Wissenschaftler reden in die Kamera, als hätten sie noch nie über die damit zusammenhängenden Probleme nachgedacht, ja als gäbe es sie nicht. Nach eigenen Angaben hatten die Dokumentaristinnen aus Freiburg auch keinerlei Schwierigkeiten, die Wissenschaftler vor die Kamera zu bekommen. Offensichtlich haben die Forscher keine Probleme mit ihrer Forschung. Jedenfalls kaum welche: Immerhin überlegt ein Tierarzt, ob es nicht doch ein bißchen unfair sei, daß die gute Kuh, die nun schwanger vor ihm steht, künstlich befruchtet werde.
Die Frage nach der Moral des Machbaren — sie ist kein Thema. Spendersamen für die Invitrofertilisation werden kategorisiert nach Intelligenz, Hautfarbe, gar Nationalität, Religionszugehörigkeit und Hobbies. Ein italienischer Arzt denkt derweil über die Möglichkeiten nach, den »Verlust des menschlichen Lebens zu reduzieren«. Dahinter steht seine Idee, abgetriebene Embryonen »wiederzuverwenden«. Ein wahres Gruselkabinett. Und die Filmemacher greifen lustvoll zu. Bedauerlich ist leider, daß die Kritik gepredigt wird. In Gestern war heute noch morgen wabern zwischen den einzelnen Interviews apokalyptische Nebel, während Computermusik schrammelt, Raketen fliegen und Gesprächsfetzen sich verirren. Sehenswert, vom filmischen Gesichtspunkt aber nichts Neues. Auch der Einstieg zu ...und andere Ergüsse wirkt zu konstruiert und um den »anderen Blick« bemüht. Die gentechnologischen Ersprießlichkeiten werden umrahmt mit einem abgewandelten Froschkönig-Märchen der Manier phantastischer Filme, in dem es irgendwie um einen Schwanz geht, der fünfzehn Meter langgezogen wird und danach so schwer ist, daß er — selbst um Hüfte und Hals gewickelt — nicht mehr tragbar ist. Der tiefere Sinn — liegt er im Ekel? Ein Witz war's wohl kaum. Als verkrampftes Stilmittel entpuppt sich außerdem die Methode, kurze Sequenzen in Gespräche reinzuschneiden, um mit Halbsätzen neue Interviewpartner einzuführen.
Solch peinliche Experimente erspart Harun Farocki seinen Zuschauern. Schlicht wie die Titelfrage ist der Film, die dokumentarische Zusammenstellung, die Kameraführung, nüchtern sind auch die eingefügten Zwischentitel, die nicht ankündigen, was die kommenden Filmmeter zeigen, sondern was auf ihnen eben zu sehen war. Was ist los? ist sowohl ein Rückblick auf die Anfänge der Roboter in den fünfziger Jahren, aber auch ein Blick auf die heutige, computerisierte Arbeitswelt. Die Industrie begnügt sich längst nicht mehr mit der Rationalisierung der Bewegungsabläufe am Arbeitsplatz. Vielmehr wird inzwischen versucht, die Empfindungen der Konsumenten mittels Sensoren zu erfassen und die Produkte psychologisch zurechtzuschneidern. Farocki zeigt ein Geschäft mit dem Wissen, das ein Managerberater gestenreich an führende Köpfe vermittelt. Das Credo des Beraters ist Flexibilität: Der Manager muß das Chaos auf dem Markt akzeptieren. Alles andere breche ihm das Genick.
Insgesamt ist Farockis Film ein nüchternes Dokument, das Markt- und Werbepsychologen nichts Neues sagen wird. Dennoch ist er ein spannendes Dokument, da der Film ohne den erdrückenden moralischen Zeigefinger auskommt. Die Darstellung der rationalisierten Bewegungsabläufe leitet er beispielsweise mit einem Ausbildungskurs für Croupiers ein, die sich noch tapsig um flinke Finger und elegante Gesten am Roulettetisch bemühen. Petra Brändle
Auf dem Dokumentar-Festival im »fsk«-Kino werden außerdem Männer im Ring , ein Horrordokumentarfilm von Erich Langjahr über die Abstimmung der Appenzeller Eidgenossen über das kantonale Frauenwahlrecht (30.1.-5.2.) und Schnaps im Wasserkessel von Hans Erich Viet (2.2.-5.2.) gezeigt. Ein Psychogramm, das das Phänomen Ostfriesland zu ergründen sucht. Was ist los läuft noch bis zum 29.1., ...und andere Ergüsse bis zum 27. 1. und Gestern war heute noch morgen ist im fsk vom 29.1. bis zum 1.2. zu sehen.
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