Flugzeuge im Bauch

Die Christoph-Dornier-Stiftung will mit einer Klinik für psychosomatische Störungen die Angstforschung weiter vorantreiben  ■ Von Christoph-Thomas Link

Die Panik kommt plötzlich, aus heiterem Himmel. Du fühlst dich ausgeliefert — und weißt nicht weshalb, du schreist auf oder du rennst los. Das kriegst du auf der Straße, im Kaufhaus, auf freiem Feld, egal wo. Herzrasen, heftiges Atmen. Und das passiert dir dann immer mal wieder, du wirst vorsichtiger. Irgendwann traust du dich nicht mehr aus dem Bett, monatelang. Das ist das Paniksyndrom.

Variante.

Du hast Angst vor Spinnen? Mäusen? Vor Enge, Weite, Höhe? Vor Männern, Frauen, Kindern, Katzen, Hunden? Zukunft? Vor Zeitungen, Kellnern, Kreissägen, Kastanienbäumen, Kristallgittern oder gar Pusteblumen? — Gut so, denn ein gewisses natürliches Maß an Vorsicht und Demut ist jedem gegeben und bietet in bestimmten Fällen sogar einen entscheidenden Selektionsvorteil. Vielleicht aber machst du es dir doch nicht ganz so leicht. Dein Haus erscheint dir als letzte Bastion vor solchen sehr konkreten Gefahren des Alltags. Du vergitterst jeden Lüftungsschacht und verläßt es jahrelang nicht mehr, um dich ihnen nicht auszusetzen. Dann bist du mit deutlicher Wahrscheinlichkeit ein sogenannter Phobiker.

Ob nun Paniksyndrom oder Phobie dich quält — in jedem Fall stehst du vor der Wahl zwischen drei Möglichkeiten: Entweder bleibst du im Bett liegen und wartest, bis du wirklich noch total krank wirst. Oder du suchst nach einem wirksamen Therapeuten. — Gut möglich, daß du Glück hast, und dein neuer Freund vertritt die richtige Schule. Vielleicht aber hast du auch Pech...

Oder — drittens — du stellst einen Antrag bei der Marburger Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie und wirst damit ungefähr Nr. 5.501 auf der Warteliste. Aber keine Angst, ab nächstes Jahr wird in Münster die erste deutsche Klinik für psychosomatische Störungen die ersten Patienten aufnehmen und damit diesen möglichen Teil deiner Lebensplanung revolutionieren. Der in diesen Tagen in Angriff genommene Klinikneubau am Münsteraner Promenadenring wird die vorhandenen 250 Marburger Probandensessel um 800 aufstocken.

Honorabler Geldgeber ist ein Schweizer Kunstmaler

Die Institution hatte ein Spender gleichen Namens Anfang 1989 mit 5,3 Millionen Mark auf den Weg gebracht, als erste deutsche Stiftung dieses Themas. Ein honorables Unternehmen, das den Nutzen der deutschen Psychologie mehren will: Eher diffus verteilte Künste verschiedener Meister und Schulen werden auf breite Anwendungsmöglichkeiten hin durchfilzt. „Die Schule kam vor der Wissenschaft“, bringt der Stiftungsvorstand Wolfgang Fiegenbaum auf den herausragenden Punkt. Führt die Klinische Psychologie doch sonst in Deutschland ein Schattendasein.

Panik und Phobien hat die Christoph-Dornier-Stiftung als ihr erstes Projekt der so siebenden Therapieforschung mit 90prozentiger Erfolgsquote bereits sicher in den Griff bekommen. Daneben segnet sie mit Veröffentlichung, Stipendien und, ab 1992, dem neuen „Deutschen Psychologiepreis“.

In dem neuen Klinikum, das denselben honorablen Geldgeber — einen Schweizer Kunstmaler und Sohn des gleichnamigen Flugzeugschöpfers — hat, werden ebenfalls vor allem Angstneurosen behandelt.

Was aber läßt solche Ängste eigentlich immer mehr aufkommen, woher stammen sie, wäre nicht eine Ursachenbekämpfung effektiver, als für jeden neuen Therapieplatz 30.000 Mark aus dem Rüstungssektor abzuzweigen?

Die Antwort ist überschaubarer als die Fragestellung: Da man solche Neurosen nur auf sehr persönliche Erlebnisse des jeweiligen Patienten zurückführen kann, liegen die Ursachen immer schon so weit zurück und sind so familiär, daß an eine derartige breitbandige Bekämpfung nicht zu denken ist. Da fällt möglicherweise die unzuverlässige Mutter nach 20 Jahren plötzlich wieder ins Gewicht (vielleicht, Ausnahme, wurde deren Kindheit einst bei einem Luftangriff zerstört) — oder auch ein höchstpersönlicher Narzißmus. Und: Zwar repräsentiert die Warteliste der Dornier-Stiftung die allgemein insgesamt erschreckend zunehmende Zahl solcher Patienten, aber, so kommentiert auf Anfrage ergänzend der oft und erfolgreich zitierte freie Frankfurter Psychologe und ebenfalls Angstforscher Hugo Ensslen, dies ist vor allem Zeichen einer wachsenden Therapiebereitschaft, nicht einer heute etwa grundsätzlich wachsenden Zahl an Therapiebedürftigen: „Jeder zehnte leidet unter einer mehr oder minder schweren Form der Angstneurose, nur wird sie oft schamhaft verschwiegen.“

Im Schlafwagen von Marburg nach Mailand

So setzt auch die Marburger Stiftungsarbeit in ihren Heilungsverfahren nicht bei vermeintlichen Urängsten an, wie in der klinischen Psychologiegeschichte immer wieder mal versucht wurde, sondern direkt an der jeweiligen und individuell auftretenden Symptomatik. Dem Patienten wird auf einem jeweils für ihn optimalen Weg seine eigene, ihm in den Angstsituationen als verlorengegangen erscheinende Kontrollfähigkeit bewiesen.

Nach einer mehrstündigen Diagnosephase erfolgt genaue Aufklärung über die erforderliche Vorgehensweise. Dann ist erst mal eine ein- bis zweiwöchige „Phase der Entscheidungsfindung“ eingeplant — und wenn der Patient will, erfolgen dann die „Übungen“. Bei der spektakulären „Expositionstherapie“ enthalten diese möglichst viele der für ihn oder sie angstauslösenden Situationen, wobei Flucht und Vermeidung durch den Therapeuten konsequent verhindert werden. „Da kann es schon einmal in einer Nacht im Schlafwagen nach Mailand gehen, am nächsten Tag stehen in München eine U-Bahn-Fahrt und ein Besuch auf dem Olympiaturm auf dem Programm“, so Kuratoriumsmitglied Anke Ehlers.

Zur letzten Phase der Therapie setzt sich der Patient selbständig solchen Situationen aus.

Mehr als 70 Prozent der aus Deutsch- und Ausland stammenden Patienten sind Frauen im Alter von etwa 30 Jahren. Gehäuftermaßen ist das die seit wenigen Jahren verheiratete, selbstbewußte Dame, die in ihrer Ehe unbewußt alte Familienabhängigkeitsgefühle wiederaufleben spürt. Doch ist daneben auch der panisch ans Bett gefesselte Manager im Ruhestand ein recht typisches Erscheinungsbild, mit ähnlicher Seelenbedrängnis. Was in der Tat ungeahnte Übergänge zwischen Emanzipation und Patriarchat ins Blickfeld rückt.

Aber, bei aller Statistik, wer ahnt schon die Zusammensetzung der Dunkelziffer? Graphologe H. Ensslen: „Wenn Sie wüßten, wie viele Prominente unter diesen Panikattacken leiden...!“

Kein Hinweis, ob Christoph Dornier dazugehört.