Lieber nach Cannes

■ Italien wird auf der diesjährigen Berlinale durch Abwesenheit glänzen

Eingeladen waren vier, aber kommen wird nur einer: Mehrere italienische Produzenten haben ihre für die diesjährige Berlinale ausgewählten Filme kurzfristig zurückgezogen. „Der Bär verliert Italien“ titelte der 'Corriere della Sera‘ am vergangenen Sonntag, und Calisto Cosulich, offizieller Berlinale-Delegierter für Italien, hat Festival-Chef Moritz de Hadeln gar förmlich um Demission gebeten. Nicht aus Unmut über die Festivalpolitik, im Gegenteil: seiner Meinung nach „beleidigt“ das Verhalten der Produzenten nicht nur die Berlinale, sondern „das gesamte italienische Kino“. Wörtlich heißt es in seinem Brief an de Hadeln, er habe den Eindruck, daß „die italienischen Produzenten nicht daran interessiert sind, an diesem Festival teilzunehmen.“ Und de Hadeln spricht in einem Brief an den italienischen Botschafter in Bonn von „unkalkulierbaren Folgen“. Was ist geschehen?

Nach der vom italienischen Filmverband ANICA für den 20. Dezember anberaumten Vorführung für die Berlinale-Auswahl waren Gianni Amelios Ladro di bambini für den Wettbewerb und Mario Martones Morte di un matematico napoletano, Aurelio Grimaldis La dicesa di Aclà a Floristella und Zuppa di pesce von Fiorella Infascelli für das Panorama ausgewählt worden. Martone erklärte nun, sein Film werde nicht fertig, bei Grimaldi gibt es angeblich Probleme mit der Filmmusik. Unwägbarkeiten, mit denen, so de Hadeln gegenüber der taz, ein Festival rechnen muß. Trotzdem ist die Häufung merkwürdig; im Falle von Amelios Film handelt es sich nämlich in der Tat um eine offene Brüskierung des Festivals. Produzent Angelo Rizzoli, der in letzter Zeit mit diversen Pleiten seines Firmenkonsortiums ins Gerede kam, hat offenbar kurzfristig umdisponiert: Der Film soll jetzt nach Cannes. Das ist nicht nur günstiger für die französische Auswertung des Films, auf die der französische Koproduzent Wert legt, sondern überhaupt besser fürs Renommé.

Zwar meint de Hadeln, Cannes habe die Auswahl noch nicht offiziell bestätigt, Rizzoli aber beteuert in der italienischen Presse, daß Cannes-Direktor Gilles Jacob den Film sehr gemocht und herzlichst eingeladen hätte. Rizzoli in der 'Repubblica': „Ich habe den Film aus Berlin nicht zurückziehen können, denn er war von dort ja gar nicht erst eingeladen.“ Seine Version der Geschichte: Seit dem Termin im Dezember habe er weder von de Hadeln noch von der ANICA etwas gehört, die Auswahl sei ihm nicht mitgeteilt worden, geschweige denn ein Datum für die Vorführung. Eine nicht unwahrscheinliche Version, bedenkt man den für die Berlinale mittlerweile berüchtigt schlechten Umgang mit europäischen Filmen.

De Hadeln bestreitet Rizzolis Darstellung allerdings entschieden. Gegenüber der taz meinte er, halb belustigt, halb verärgert: „Kein Wunder, daß der Mann sich in der Situation was ausdenken muß — typisch italienisch. Aber leider stimmt es nicht.“ Rizzoli sei über Cosulich und die ANICA informiert worden. Auch Cosulich spricht von „inexistenten Gründen“ des Produzenten. Es geschehe im übrigen häufiger, so de Hadeln, daß Produzenten kurz vor Festivalbeginn ihre Filme zurücknähmen. Das lege die Vermutung nahe, „man nützt unsere Zustimmung, um Druck in Cannes auszuüben.“ Daß die Konkurrenz zum Festival auf der Croisette wegen des zur Zeit zwar ruhenden, aber längst nicht beigelegten Terminstreits zwischen den großen europäischen Filmfestivals mittlerweile aggressiver ausgetragen wird, bestätigte der Berlinale-Chef: „Wir haben gemerkt, daß Cannes diesmal viele Produzenten sehr früh angesprochen hat.“ Seiner Meinung nach muß eine verbindliche Regelung von seiten der Verbände getroffen werden, die in Zukunft verhindert, daß Produzenten Filme anbieten und nachträglich zurückziehen.

Das Grundproblem liegt de Hadeln zufolge aber woanders: Es gebe einfach nicht genügend gute Filme, die sich für den Wettbewerb eigneten. Nur deshalb gebe es zwischen Cannes, Venedig und Berlin Streit um die wenigen lohnenswerten Produktionen. Für das neuerliche Übergewicht der amerikanischen Filme, die ein Drittel des diesjährigen Berlinale-Hauptprogramms stellen (also noch mehr als im Vorjahr), wird US-Filmfan de Hadeln sich aber eine bessere Erklärung ausdenken müssen. Schließlich hängt die Attraktivität eines Gastgebers nicht zuletzt vom Bemühen um die Gäste ab. chp