Todsichere Heilung

Die Geschäfte der Sekte „Fiat Lux“ blühen. Die Mischung aus Geistheilung, Trance und weißen Kleidchen ist beim Mittelstand erfolgreich.  ■ VON
HOLGER REILE

Eigentlich hatten wir die Hoffnung schon aufgegeben, jemals wieder etwas von der 1980 als Geheimorden gegründeten Sekte „Fiat Lux“ (Es werde Licht) zu hören. Dann kam die überraschende Zusage. Telefonisch ließ uns Sektenchefin Erika Bertschinger-Eicke, alias „Uriella“ mitteilen, daß wir an ihrer nächsten „göttlichen Offenbarung“ teilnehmen dürften. Unsere Schwingungen, das hätte die Überprüfung unserer persönlichen Daten ergeben, seien positiv: „Der Heiland will, daß Sie dabei sind.“

Schon zwei Stunden vor Veranstaltungsbeginn ist der Parkplatz am Züricher Casinohorn mit Autos aus Deutschland, der Schweiz und aus Österreich voll belegt. Um das Casino am Zürichsee wimmelt es von frohgemuten Menschen, die sich ein „Fiat Lux“ zuhauchen. Ihre Kleider sind vom Feinsten, man trägt viel Schmuck. Etwa gegen 13 Uhr bewegt sich die Menge zum Casino. Vor der Glastüre der Hinweis auf einem Plakat, daß ab 14 Uhr durch Erika Bertschinger-Eicke eine „göttliche Offenbarung“ zu erwarten sei. Die Dame, so lesen wir weiter, falle dabei in Volltrance. Im Vorraum geht es zu wie auf einem Jahrmarkt. Auf langen, mit weißen Tüchern verhangenen Tischen liegen unzählige Tonband-Kassetten mit „göttlichen Offenbarungen“ und „Botschaften“ aus, Broschüren mit Ernährungstips, Terminhinweisen für geplante Seminare. Der Veranstaltungssaal, etwa 600 Personen haben darin Platz, ist aufwendig geschmückt. Aus mehreren Lautsprechern tönt leise Musik. Weiße Blumen und Kerzen überall, eine üppig beleuchtete Marien-Statue, ein mächtiges Christus-Konterfei und das Ordensbanner mit der Aufschrift „Fiat Lux“. Langsam werden die Türen geschlossen, der Raum ist bis auf den letzten Platz gefüllt.

Dann schließlich rauscht „Uriella“ mit ihren sieben Auserwählten auf die Bühne. Honigsüße Panflötentöne wehen durch den Raum. Die „Fiat-Lux“-Chefin ist stark geschminkt und trägt eine pechschwarze Perücke. Ein weißes Kleid mit Brokatbesatz umhüllt die zierliche Gestalt. Lächelnd grüßt sie ihre Anhänger, wirft Küßchen ins Publikum und nimmt würdevoll auf ihrem Thron Platz.

„Wotana“ singt derweil

Ein Mann tritt auf die Bühne. Mit bürgerlichem Namen heißt er Carlo Hörmann, in „Fiat-Lux“-Kreisen nennt man ihn „Ammonius“. „Uriella“ hat alle ihre Mitglieder mit „Geistnamen“ bedacht. „Ammonius“, ein ehemaliger Stuttgarter Geschäftsmann, spricht einige einleitende Worte und erklärt, daß „Uriella“ in Kürze in Volltrance versinke. „Wotana“ und „Icordo“ singen derweil selbstkomponierte Lieder: „Gott ist die Liebe, das Leben, das Licht“ oder „Uriella, du bist die Brücke zur Welt“. „Wotana“, alias Eva Angehrn, engagierte sich früher bei der Stuttgarter SPD und war bei der Friedensbewegung aktiv. Ihr Mann Beda, genannt „Echnaton“, ist Dozent an einer schweizer Hochschule. Der überwiegende Teil der „Fiat-Lux“-AnhängerInnen gehört dem gehobenen Mittelstand an: Kaufleute, Architekten, Unternehmer, Lehrer, wohlhabende Frührentner. „Icordo“, mit bürgerlichen Namen Eberhard Eicke, war Geschäftsmann in Hamburg und hat vor kurzem „Uriella“ geheiratet. Die 62jährige Erika Bertschinger-Eicke hat früher als Dolmetscherin und Sekretärin überwiegend in der Schweiz gearbeitet.

Knapp drei Stunden dauert das Spektakel der Trance. Ein radikal simplifiziertes spiritistisches Konzept prägt den theoretischen Überbau der Sekte, die „Geistgeschwister“ saugen begierig diesen absurden Esoterik-Mix auf: einzelne Versatzstücke diverser Naturreligionen, dazu meist verstümmelte Halbweisheiten astrologischen Ursprungs und der unerschütterliche Glaube an die Reinkarnation. Man trifft unter anderem auf Johann Strauß, Maria Magdalena und Jeanne d'Arc, auf Könige und Kaiser, Päpste, Fürsten und Pharaonen. An ein früheres Landsknecht- oder Bauernleben mag sich niemand erinnern.

„Rohkost-Eremitage“

Strittmatt ist eine kleine Gemeinde im südlichen Schwarzwald. Bereits Mitte der achtziger Jahre kauften hier „Fiat-Lux“-Mitglieder ein Haus nach dem anderen auf. „Uriella“ versammelte bis zu jener Zeit ihre Anhänger im „Heiligtum“ in Egg bei Zürich. Dann spähte sie das Schwarzwalddorf als einen „besonders geschützten Ort“ aus, der die kommende „Endzeit“ überdauern werde. Inzwischen wohnen hier etwa 50 „Geistgeschwister“, die ihr Leben vollständig in den Dienst der Sekte gestellt haben. Ein paar Kilometer weiter, in Ibach, hat sich „Uriella“ ebenfalls eingekauft. Eine ehemalige Dorfwirtschaft wurde mit großem Aufwand renoviert und im vorderen Teil zu einer „Rohkost- Eremitage“ umgebaut. In der anderen Haushälfte befindet sich seit kurzem das neue „Heiligtum“. In den ganz in weiß gehaltenen Räumen versammelt „Uriella“ ihre Anhänger zu Gottesdiensten, „Sündenverbrennungen“, Seminaren, „Geistheilungen“ und Massenhochzeiten. Sie bestimmt, wer wen heiratet. Widerspruch gibt es nicht, denn schließlich führt „Uriella“ ja nur das aus, was der Heiland bestimmt. Strittmatt und das Haus in Ibach sind seit „Uriellas“ Wegzug aus der Schweiz die wichtigsten „Fiat-Lux“-Zentren. Im österreichischen Kärnten, in Sittersdorf, besitzt die Sekte ebenfalls mehrere Häuser, in Wien hat sich unlängst ein „Fiat-Lux-Lichtkreis“ zusammengefunden. Auf die Frage, wer das alles finanziert, bekommen wir ausweichende Antworten, von „Herzensgaben“ und Spenden ist vereinzelt die Rede. Nein, andere Einkünfte habe „Fiat Lux“ nicht.

„Zwei und eins gibt drei“

In Ibach werden wir Zeugen einer bizarren Show: „Uriella“ kniet vor einer vollen Badewanne und rührt 21 Minuten lang, „zwei und eins gibt drei — das Zeichen der göttlichen Trinität“, mit einem Silberlöffel in der linken Hand durch die Wanne. Ihre Rechte hebt sie leicht geöffnet nach oben, um die „kosmischen Athrumstrahlen“ zu bündeln. Etwa 70 Badewannenfüllungen, also rund 15.000 Liter „Heilwasser“ pro Monat produziert sie auf diese Weise. Das Wasser wird in Kanister abgefüllt und im Keller gelagert.

Zwei Tage später, an einem Sonntag, herrscht starker PKW-Verkehr vor dem Ibacher Zentrum. Heute ist „Heilwasser“-Ausgabe, kostenlos. Die AbnehmerInnen sind teilweise bis zu 700 Kilometer gefahren. Etwa 500 Kanister werden innerhalb weniger Stunden abgegeben. Die meisten trinken das Wasser regelmäßig, waschen sich damit, benutzen es zur Wundbehandlung („Es heilt sofort“), wässern damit ihr Gemüse oder brühen ihre Kräutertees auf.

Wir dürfen, „der Heiland hat es angeordnet“, an einer „Geistheilung“ teilnehmen. Schon eine Stunde vorher warten etwa 60 PatientInnen vor dem „Heiligtum“ in Ibach auf Einlaß. Eine Frau hat ihr mongoloides Kind auf dem Arm und hofft auf die „heilenden Hände von „Uriella“. Krebs- und Hautkranke sind hier, andere mit Augenleiden, offenen Beinen, Herzfehlern oder sonstigen schweren Leiden. Eines ist allen gemeinsam: Die Schulmedizin habe ihnen nicht helfen können, in „Uriella“ sehen sie ihre letzte Hoffnung.

Im Heilraum sitzen jeweils zehn Patienten im Kreis, die nackten Füße im „Heilwasser“. Bei leiser Musik legen die „Heiler“ den Kranken die Hände auf, massieren und kneten 21 Minuten lang. Dabei soll „kosmische Energie“ auf die Hilfesuchenden übertragen werden. Die „schweren Fälle“ übernimmt die Chefin selbst. Mit ihren Händen könne sie alle Krankheiten heilen, auch die tödlichen. Außerdem besitze sie die „Gabe der Ferndiagnose und der Fernheilung“. Deshalb sind auf dem Boden Fotos von Kranken aufgestellt, die nicht nach Ibach kommen konnten. Während „Uriella“ gerade einen Patienten behandelt, werden die Abwesenden gleich mitgeheilt. Zum Beweis gibt sie uns einige Dankesbriefe ehemaliger Patienten mit auf den Heimweg.

Die „Apotheke Gottes“

„Die lügt doch, daß sich die Balken biegen.“ Eugen K. wohnt mit seiner Frau Edith eine Autostunde von Ibach entfernt. Beide waren jahrelang Mitglied bei „Fiat Lux“, bis sie merkten, „daß alles Schwindel ist“. „Die Dankesbriefe mußten wir auf Anordnung von Uriella überwiegend selber schreiben, nicht einen Heilerfolg kann diese Hexe definitiv nachweisen.“ Frau K. bestätigt uns, was wir schon lange vermutet hatten: „Uriella“ finanziert sich und ihre Sekte hauptsächlich durch den Verkauf von „Heilmitteln“. Frau K. arbeitete zirka zwei Jahre in der „Apotheke Gottes“. „Jedesmal nach großen Veranstaltungen sind die Leute ins Heiligtum nach Egg gekommen und haben Heilmittel gekauft. Manchmal kamen da an nur einem Tag bis zu 50.000 Mark zusammen.

Da bisher „Fiat-Lux“-Mitglieder nie etwas von ihren „Heilmitteln“ erzählt haben, bestellen wir über einen Mittelsmann bei „Uriellas“ Mitarbeitern in der Schweiz Medikamente gegen Alkohol-, Nikotin- und Heroinsucht. Keine zwei Wochen später erfolgt die Lieferung, aufgegeben im Schwarzwald. Inhalt: mehrere Ampullenschachteln, absolut identisch. Preis pro Schachtel rund 60 Mark. In Deutschland ist Herstellung, Handel und Vertrieb von Heilmitteln jedem Arzt und jedem Heilpraktiker generell verboten. Die gesetzliche Regelung erlaubt den Verkauf von Medikamenten nur in Apotheken. Dort klärt man uns darüber auf, daß es sich bei „Uriellas“ Ampullen bestenfalls um verwässerte Kochsalzlösungen handelt, die von der Gesundheitsbehörde nicht zugelassen sind. „Uriella“ vertreibt also illegale Präparate ohne jede Heilwirkung. In mehreren Katalogen bietet die „Geistheilerin“ insgesamt fast 600 Heilmittel an, gegen jede Krankheit, auch gegen Aids. Durch das Geschäft mit der Angst hat „Uriella“ in den letzten Jahren Millionenumsätze gemacht. In der Vergangenheit wurde das ehemalige „Heiligtum“ in Egg bei Zürich mehrfach durchsucht, mindestens zweimal wurde „Uriella“ verurteilt. Verständlich, daß ihr der Boden in der Schweiz zu heiß wurde und sie sich in den Schwarzwald abgesetzt hat.

Bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Waldshut, rund 20 Kilometer von Strittmatt entfernt, ist der Name Erika Bertschinger-Eicke ein Begriff. Gegen 16 „Fiat-Lux“-Mitglieder wurde hauptsächlich wegen „unerlaubter Einfuhr von Heilmitteln“ aus der Schweiz ermittelt. Wegen „Abgabenhinterziehung“ verurteilte das Gericht 1989 die Sektenchefin „Uriella“ zu einer Geldstrafe von 11.000 Mark. Bei mehreren Durchsuchungen in Strittmatt beschlagnahmten die Behörden in „Fiat- Lux“-Häusern größere Bestände an Heilmitteln. Zwar habe, so der Waldshuter Oberstaatsanwalt Rolf Stolle, der Verdacht bestanden, daß hier ein illegaler Handel mit nicht zugelassenen Heilmitteln stattfinde, aber „dieses Problem“ sei „nicht abschließend untersucht worden“. Auch die Praktiken der Sekte „Fiat Lux“ waren für die Waldshuter Staatsanwaltschaft „nicht interessant“.

Noch keine Ermittlung

Präziser hat das schon die Gesundheitsdirektion in Zürich recherchiert. Das Amt, zuständig für die Arznei- und Heilmittelkontrolle, hat „Uriellas“ Wunderwasser genau unter die Lupe genommen, am 14.Februar 1989 wurde das Wasser analysiert. Ergebnis: keine Trinkwasserqualität, pro Milliliter Wasser wurden 4,6 Millionen Bakterien nachgewiesen, darunter Schimmelpilze und Eitererreger. Um ganz sicher zu gehen, lassen wir im Sommer 1991 abgefülltes „Heilwasser“ bei einem renommierten Institut in Deutschland untersuchen. Gefunden werden 90.000 Bakterien pro Milliliter Wasser, dazu mehr als 40 Eitererreger.

Bei etwas mehr Interesse an den schmutzigen Geschäften der Heilpraktikerin Erika Bertschinger- Eicke wäre man dahintergekommen, daß die „Fiat-Lux-Heilmittel“ nicht nur illegal eingeführt und dann ebenso illegal weiterverkauft werden, sondern daß einige der nichtzugelassenen Essenzen aus der „Apotheke Gottes“ höchst gesundheitsgefährdend sind. Die sogenannte „Anti-Radioaktivitäts-Tinktur“ war, so eine Untersuchung aus dem Jahre 1986, mit mehr als einer Million Bakterien pro Milliliter verseucht. In einem Präparat gegen Augenleiden, „Augenöl“ genannt, wurde ein Alkoholgehalt(!) von 37 Prozent festgestellt. Auch das sind Laborergebnisse der schweizer Behörden.

„Uriella“ verbietet ihren AnhängerInnen, zum Arzt zu gehen. Schließlich gäbe es ja die „göttliche Apotheke“. Die Mehrzahl der Sektenmitglieder ist überzeugt von der „Heilkraft“ der Salben und Wässerchen. Viele geben bis zu 4.000 Mark monatlich aus, sind mehrmals täglich damit beschäftigt, Dutzende von Pillen zu schlucken und übelriechende Tinkturen in sich hineinzuschütten.

Manche bezahlen ihren unerschütterlichen Glauben mit dem Leben. Nach dem Tod der Frankfurter Rentnerin Angela L. fanden ihre Angehörigen einen ganzen Schrank voll mit „Fiat-Lux-Heimitteln“. Rund 40 verschiedene Präparate, insgesamt etwa 50.000 Tabletten und 40 Kanister „Heilwasser“, alles verteilt in der Wohnung der Verstorbenen. Obwohl Frau L. an einer Schilddrüsenfehlfunktion litt und über Herzrhythmusstörungen klagte, lehnte sie Anfang 1989 den Rat eines Arztes ab, entsprechende Medikamente einzunehmen. Ihrer Nichte vertraute sie an: „Uriella will nicht, daß ich mich von Ärzten behandeln lasse, denn die Schulmedizin ist vom Teufel.“ Im Juni 1989 starb Angela L., vollkommen verarmt. In den letzten drei Jahren ihres Lebens hat die wohlhabende Rentnerin ihre gesamten Ersparnisse in die „Apotheke Gottes“ investiert.

Obwohl die örtliche Presse mehrfach über die Machenschaften von „Fiat Lux“ berichtet hat, ermittelte die Waldshuter Staatsanwaltschaft erstaunlich halbherzig. Auch das für die Zulassung von Heilpraktikern zuständige Landratsamt hat wegen „Uriellas“ Aktivitäten nie genauere Nachforschungen angestellt. Ebenfalls stillgehalten hat bislang der Dachverband der Heilpraktiker.

P.S.

Der Text beruht auf Recherchen für eine Fernsehdokumentation, die Holger Reile zusammen mit Felix Kuballa für die ARD erstellte: „Gesucht wird... Das Sprachrohr Gottes.“ (19.1.92) Wenige Tage nach Ausstrahlung des Films wurden am vergangenen Donnerstag 12 Gebäude der Sekte durchsucht. Die Staatsanwaltschaft Waldshut beschlagnahmte „umfangreiches“ Material. Kontoauszüge, „Fiat-Lux- Heilmittel“ und schriftliche Unterlagen wurden mitgenommen. Desweiteren will man der Sektenchefin die Heilpraktikererlaubnis entziehen. Der Sekte wurde außerdem untersagt, weiterhin „Heilbehandlungen“ und „Geistheilungen“ durchzuführen.