„Ich hab's gemacht, es war mein politischer Kampf, und dazu stehe ich“

■ Wie sich der ehemalige taz-Mitarbeiter Till Meyer am Sonntag abend im 'Spiegel-TV‘ selbst enttarnte — die taz dokumentiert in Auszügen

Till Meyer: „Nach elfeinhalb Jahren Haft wurde ich dann vorzeitig entlassen, das war im November 1986. Gut vier Monate später, im Frühjahr 1987, stand dann an meiner Kreuzberger Wohnung in Berlin ein älterer Herr vor mir und hatte einen Zettel in der Hand, einen Umschlag, in dem ich aufgefordert wurde, mit kurzen knappen Worten, mich doch, wenn ich Interesse hätte, an dem und dem Termin in Ost-Berlin in der Friedrichstraße einzufinden. Wenn ich kein Interesse hätte, sollte ich das alles gleich wieder vergessen.

Ich bin dann aber auch prompt zu dem angegebenen Termin rübergefahren, weil mich das interessiert hat, und ich konnte mir auch denken, daß das die Staatssicherheit ist.“

Till Meyers Gesprächspartner und von nun an auch Führungsoffizier war der Leiter der Abteilung 8 der Hauptabteilung XXII, Oberstleutnant Helmut Voigt, der wichtigste Mann in der Terror-Abteilung des MfS.

Voigt wird zur Zeit von bundesdeutschen Strafverfolgern gesucht, weil er in einen Sprengstoffanschlag verwickelt sein soll.

„Zunächst einmal hatte ich den Eindruck, daß sie genau wissen wollten, wo ich denn nun eigentlich politisch stehe, wie sicher meine politische Position ist. Das war also ein Diskussion um alles mögliche, die sich aber auch immer zentral um den militanten Bereich der bundesdeutschen Szene drehte. Also: Einschätzungen — wie schätzt du die ein? Was machen die? Sind die in der Lage? Ich mußte mich da zum Teil selber erst sachkundig machen, obwohl ich natürlich in dem Metier drin war und durchaus auch noch Verbindungen hatte, wo ich dann also genaueres erfahren konnte.“

Die Stasi-Hauptabteilung XXII sammelte nämlich alle Informationen zu deutschen und ausländischen Terrororganisationen. Da kam die Insider-Kenntnis des alten „Willi-Waldoff“-Stadtguerilla-Kämpfers gut zupaß. Meyer durfte sich einen Decknamen wählen. Er entschied sich für Willi Waldoff.

Den Vornamen bezog er vom kommunistischen Verleger Willi Münzenberg — schließlich strebte er selbst gerade eine journalistische Karriere bei der linken 'tageszeitung‘ an — den Nachnamen von der Sängerin Claire Walldoff. Und so sang er dann für die Stasi aus der taz.

„Da sagte ich ihnen, daß ich jetzt bei der taz bin. Das fanden sie natürlich sehr aufregend, sehr spannend. Man muß ja sehen, die taz war natürlich ein linkes Projekt, zu jener Zeit auch noch, es war gewissermaßen auch eine Schnittstelle für Diskussionszusammenhänge aus den verschiedensten Ebenen. Das ging ja soweit, daß da alle möglichen Kommandoerklärungen für alles mögliche eingingen, die aber nicht veröffentlicht wurden, aber trotzdem da waren. Dafür haben sie sich dann auch interessiert, das haben die dann auch wahrgenommen. Wenn sie sagten, da ist doch wieder was passiert, gab es da eine Meldung zu? Dann sagte ich Ja, liegt bei mir auf dem Schreibtisch — Mitbringen!“

Just zu jener Zeit hatte sich eine ganze Gruppe von RAF- Mitglieder in die DDR abgesetzt und war im Forsthaus an der Flut in Briesen auf ihre neue Existenz im Realsozialismus vorbereitet worden. Till Meyer erfuhr davon und sicherte sie durch Desinformationen mit ab.

„Wenn ich darüber nachdenke, war es rückblickend für mich gesehen die wichtigste Funktion fürs MfS, daß sie über mich, als Seismograph im Westen, in einer bestimmten Szenerie, darüberhinaus auch noch in der taz, einem Journalistenpool, gesessen haben, gewissermaßen mit Fledermausohren und alles was in die Richtung ging: wo sind womöglich Susanne Albrecht oder Frau Viett oder Herr Lotze und pipapo. Das aufzunehmen, falls einer auf die Idee kommt, die könnten in Ost-Berlin beziehungsweise der DDR sein, das war ja ein Staatsgeheimnis, mußte unter allen Umständen unterm Deckel gehalten werden. Daß ich auf der einen Seite für sie sofort gemeldet hätte. Sag mal, ich hab' gehört, der und der recherchiert. Dann hätten sie Abwehrmaßnahmen treffen können, um diese Leute weiter zu schützen.

Und die zweite war, daß ich dann auch, wo es dann darum ging, sehr präzise, ich will keine Namen nennen, aber es gab Leute, die sehr hartnäckig recherchiert haben, die auch mit mir zusammengekommen sind und wo ich dann nochmal von meinen Genossen, gewissermaßen „eingetuned“ worden bin mit sehr glaubhaften Inforamtionen, daß sich beispielsweise Susanne Albrecht in Damaskus aufhält. Das habe ich auch in die entsprechende Szenerie eingegeben und Sie sind auch tatsächlich nach Damaskus gefahren und haben Sie dort gesucht, nicht in der DDR.“

Zu seinen Motiven befragt, sagte Till Meyer:

„Die gegenwärtige Auseinandersetzung im Bereich Stasi ist mir so widerwärtig. Diese schleimigen Denunziantenspuren, die sich jetzt durch die Medien ziehen, sind überhaupt nicht meine Sache, und ich halte es für richtig, jetzt einmal klare Position zu beziehen und sich zu dieser Sache zu bekennen: Ja, ich hab's gemacht, es war richtig, es war mein politischer Kampf, und dazu stehe ich. Deswegen bin ich jetzt in die Offensive gegangen.“