Spiel nicht mit den Schmuddelkindern

Die „Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte“ fordert finanzielle Unterstützung vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) für ihren geplanten Einsatz bei der Fußball-Europameisterschaft in Schweden  ■ Von Jan Feddersen

Hamburg (taz) — Das Quartier in Atvidaberg ist gebucht, Astrologie der fußballerischen Sorte — werden wir im Halbfinale auf England oder Frankreich treffen? — wird gleichfalls emsig betrieben. Die Fußball- Europameisterschaft in Schweden, die am 10. Juni beginnt, ist beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) in die Phase des Countdown getreten. Nur die Schmuddelkinder der Szene, die Hooligans, die Fußballfans, hat der größte und reichste Sportverband der Welt bislang nicht auf seiner Rechnung. Am kommenden Wochenende soll in der hessischen Sportschule Grünberg ein Versuch unternommen werden, mit den Fanprojekten ins Gespräch zu kommen.

Der eigentliche Anlaß der Zusammenkunft ist einer, der nach Auskunft von Hans Florin von der zuständigen Abteilung des DFB überhaupt nichts mit dem „gewaltbereiten Potential“ (Polizeijargon) zu tun hat. Vielmehr soll dem Paragraphen 28 der im vergangenen Jahr verabschiedeten „Sicherheitsrichtlinien bei Bundesligaspielen“ Rechnung getragen werden. Der Passus sieht vor, daß die Vereine sich um Fanarbeit zu kümmern haben und sogar einen Fanbeauftragten zu bestallen haben.

Doch die Resonanz der meisten Bundesligavereine, die noch vor Monaten die harten Richtlinien zum Alkoholgenuß und zum stetigen Abbau der Stehplatzränge kritisierten, war mager. Werder Bremen beispielsweise mußte Anfang November in einem dritten Schreiben daran erinnert werden, einen Fragebogen auszufüllen („Wie viele Fanclubs hat der Verein?“ Gibt es in der Stadt ein öffentlich gefördertes Fanprojekt?“). Und HSV-Präsident Jürgen Hunke äußerte noch im Dezember bei einem geselligen Treffen mit HSV-Hools, daß ihn ihr Schicksal nicht interessiere, schließlich komme es nur auf das Geschäft an. „Marketing, ein gutes Image, das braucht der HSV.“

Gleichwohl werden nach DFB- Auskunft Vertreter von 22 Vereinen in Grünberg erscheinen — und auch zwei Mitglieder der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte“, ein 1989 in Dortmund gegründeter Zusammenschluß sozialpädagogischer Projekte im Fußballmilieu, der jedoch bis dato keine offizielle Einladung erhalten hat. „Wir sind kein Mitgliedsverband des DFB, sonst würde er sich endlich auch an unserer Arbeit beteiligen“, sagt Thomas Schneider aus Hamburg, einer der beiden Sprecher der in Ministerien, Enquetekommissionen und nun auch in Grünberg hochgeschätzten Gruppe, die immer dann um Auskunft gefragt wird, wenn es zu spät ist. Wenn also, wie in Brüssel, Luxemburg oder sonstwo, bei einem Länderspiel mit deutscher Beteiligung die weniger friedlichen Fans mal wieder Randale gemacht haben.

In Grünberg soll über etwas gesprochen werden, das der DFB mit einkalkuliert, aber gleichwohl der Zuständigkeit der schwedischen Sicherheitsbehörden überantwortet hat: Fan- und Hoolausschreitungen in Norrköping, Göteborg, oder wo auch immer das DFB-Team um EM- Meriten kämpft. Es geht dabei um die, wie Günter Bahr von der Polizeiführungsakademie in Münster-Hiltrup sagt, „lächerliche“ Summe von 80.000 Mark, die die Fanprojekte vom DFB bekommen wollen, um ihre Arbeit in Schweden zu finanzieren, außerdem Freistellungen von den örtlichen Jobs in Deutschland, ein Koordinationsbüro für deutsche Fans und Geld für die Erteilung von Rechtshilfe im Land. „Es kann nicht schon wieder angehen, daß wir alles ehrenamtlich erledigen“, so Schneider auch mit Blick auf seine Erfahrungen bei der WM 1990 in Italien. Geht es dem DFB womöglich nur um das Prestige? Glaubt er, daß eine finanzielle Unterstützung ein Anerkenntnis der Mitverantwortung für Hooliganismus ist?

DFB-Sprecher Wolfgang Niersbach: „Hooligans sind immer da, wo Medien sind. Sonst würden die doch zum Rollhockey gehen.“ Zumindest sein Kollege Hans Florin aus der für Organisationsfragen zuständigen DFB-Abteilung läßt das Problem an sich heran und versichert den Fanprojekten: „Wir werden miteinander reden.“

Gute Absichten zeigt der DFB aber nur in atmosphärischer Hinsicht. Der Verband mochte selbst nicht einspringen, als die Deutsche Sport-Jugend (DSJ) kürzlich die 15.000 Mark zur Unterstützung der BAG der Fanprojekte kurzerhand mit Hinweis auf seine anstehenden Verpflichtungen in den fünf neuen Bundesländern strich. Und auch eine Beteiligung der Bundesregierung an der Arbeit der Fanprojekte in Westdeutschland wurde auf die lange Bank geschoben.

Diese Vorgehensweise findet nicht nur Kritiker in den Reihen von Politikern, die für sozialpädagogische Anliegen offen sind. Auch die Polizei weiß, daß ihre Ordnungsprinzipien im Falle des Hooliganproblems ausgereizt sind. Sozialbegleitende Maßnahmen fordert in diesem Sinne Günter Bahr von der Polizeiführungsakademie Hiltrup, einer Art „Think tank“ der deutschen Polizei: „Am Geld dürfen doch diese Fragen nicht scheitern“, sagt er, „da muß der DFB ebenso gesprächsbereit sein wie die politischen Gremien und die Polizei.“ Mit stärkerem Polizeieinsatz jedenfalls werde man dem Problem nicht gerecht: „Vermehrt müssen alle Verantwortungsträger in die Lagebewältigung eingebunden werden“, heißt es in seinem Aufsatz in der Fachzeitschrift 'Bereitschaftspolizei — heute‘. Polizei und Fanprojekte kalkulieren offenbar nicht damit, daß Rollhockey die beste Alternative für die weniger gesitteten Fußballfans sind.