„Hengsten“ ist der Männer Lust?

■ Nitribitt, Gesundheitsamt und VHS brachten Prostituierte und Freier an einen Tisch

Zweidrittel aller Männer waren in ihrem Leben mindestens einmal bei einer Prostituierten, behauptet der amerikanische Sexualforscher Kinsey. „Aber in der Öffentlichkeit gibt es keine Freier“, mokierte sich am Dienstagabend im Konsul-Hackfeld-Haus Britta N. von der Kasseler Prostituiertenhilfe.

Neben ihr allerdings saß einer, der sich öffentlich dazu bekennt: Gerrit Bloemen von der Amsterdamer Freiergruppe. Beide waren eingeladen zu einer Diskusion über „Die zwei Seiten eines Dienstleistungsgeschäftes“, der dritten und letzten Veranstaltung der Bremer Prostituiertenvereinigung Nitribitt, dem Gesundheitsamt und der VHS zur Situation von Prostituierten. Das Publikum war nach Alter und Geschlecht bunt gemischt.

Die Kasseler Prostituiertenvertreterin stellte sich überzeugend als selbstbewußte Hure mit Herz und Schnauze dar, sauber und präzise im Geschäft, aber darüber hinaus auch immer bereit, ihre verklemmten Freier psychologisch aufzubauen und praktische Lebenshilfe zu geben, bis hin zum Kauf von Reizwäsche für die noch verklemmtere Ehefrau. Stories über Zuhälter und über Frauen, die unter Zwang auf den Strich gehen, hält sie - mit Ausnahme der Drogenprostitution - für abwegig. „Heute ist das doch so: Wenn dich einer unter Druck setzt, rufst du einfach die Sitte an“, erklärte sie. An die Stelle des Zuhälters sei der Hausmann getreten, der arbeitslose Lebensgefährte der Prostituierten, den sie aus freiem Willen ernähre. Das größte Problem, und damit auch die Notwendigkeit einer Hurenorganisation, sieht Britta N. im Ausstieg aus dem Job. Sie selbst ging acht Jahre lang in Kassel anschaffen: „Stell dir vor, wen ich da alles kenne. Wer stellt mich denn da ein?“ Deshalb engagierte sie sich vor etwa einem Jahr für den Aufbau des Cafe Carre als Treffpunkt und Beratungsstelle für Prostituierte. Neben konkreter Einzelfallhilfe setzen sich die Kasseler Frauen dafür ein, daß Prostitution als ganz normaler Dienstleistungsberuf anerkannt wird. Prostituierte sollen wie andere Berufstätige sozial- und krankenversichert sein, steuerlich gleichgestellt und von den Behörden nicht mehr schikaniert werden.

Das fordert auch die Freiergruppe von Gerrit Bloemen, denn die Grauzone am Rande der Illegalität macht das Freien teurer: „In Deutschland sind die Preise viel höher als in Holland“, wußte der Reisende in Sachen Männervergnügen. Bloemen war zum erstenmal auf dem „Junggesellenabschied“ eines Freundes zu einer Hure gelangt. Seitdem ist er vom käuflichen Sex fasziniert. „Es ist die Lust an der Lust“, bekannte er. Eine klare Sache: Man verhandelt den Preis und die Leistung, gibt das Geld und bekommt, was man bestellt hat. Lästiges Gerede vorher und nachher, emotionale Zuwendung, die Sorge, ob es ihr auch gefällt - das alles spielt bei dem Geschäft keine Rolle. Und, so Gerrit Bloemen, „ich kann mir immer wieder einen anderen Typ aussuchen: mal eine große Blonde mit ordentlich was dran, mal eine junge Knabenhafte.“ Seine Blicke hinter die Kulissen des Sexgeschäftes haben ihn allerdings desillusioniert. Als er zwei Sado-Maso- Frauen beim Telefonsex beobachtete, wurde ihm klar, „daß die immer das gleiche Programm abspulen.“ Trotzdem, das „Hengsten“ (holländisch für das Herumstreunen und Anmachen im Rotlichtviertel) gehört zu seinen größten Vergnügen.

Worin er die Funktion seiner Freiergruppe sieht, blieb nebulös. Etwa 20 Männer aus ganz Holland treffen sich einmal im Monat in Amsterdam. Themen, die sie diskutieren: Wie bekomme ich die Beziehung zu meiner Freundin und die Besuche bei der Prostituierten unter einen Hut? / Rollenmodelle / Aidsverhütung durch Kondome / Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen für Huren. Manchmal allerdings, so scheint es, sitzen da auch nur ein bis zwei Dutzend Herren zusammen und tauschen in bester Stammtischmanier Preise, Praktiken und Adressen aus. Die Amsterdamer Hurenorganisation Roter Draht hat sich den Annäherungsversuchen der Freiergruppe zu Bloemens Enttäuschung brüsk entzogen. Dabei wolle man doch im Grunde das Gleiche: daß Freier und Huren sich offen zeigen können, ohne Scham und Tabus. Als ein Mann aus dem Publikum fragte, ob dann nicht auch ein Teil des Reizes verlorengehe, wurde Bloemen sehr nachdenklich. Doch kein Geschäft wie jedes andere?

Annemarie Struß-von Poellnitz