Die Lage des George Bush

■ Zwischen ökonomischen Zwängen und dem Zerfall der konservativen Koalition

Die Lage des George Bush Zwischen ökonomischen Zwängen und dem Zerfall der konservativen Koalition

George Bushs diesjährige Rede zur Lage der Nation sollte der „definierende Augenblick“ seiner Präsidentschaft werden. Nach Monaten des Schweigens, des Zauderns, der Unbeholfenheit wollte der Präsident dem amerikanischen Volk endlich das Wachstumspaket zur Überwindung der hartnäckigen Rezession präsentieren. Auf dem Tiefpunkt seiner Popularität hoffte George Bush, mit einer inspirierenden Vision über die Zukunft Amerikas das jetzt so skeptische und pessimistische Wahlvolk neu gewinnen zu können.

Doch was er der Nation am Dienstag in seiner Rede vor dem Kongreß bot, war weder handfest noch visionär. Sein Wirtschaftsprogramm erschöpfte sich in kurzfristigen Maßnahmen zur Befriedigung ganz spezifischer Einzelinteressen. Selbstverständlichen Abrüstungsschritten wurde die Aufstockung der „Strategischen Verteidigungsinitiative“ gegen die nächste imaginäre Bedrohung aus dem All entgegengesetzt.

Mangelnde Kühnheit und Kohärenz seines Regierungsprogrammes mögen zwar die intellektuelle Armut des Präsidenten widerspiegeln, sie haben jedoch auch strukturelle Ursachen. Denn selten zuvor hatte ein US-Präsident so wenig Einflußmöglichkeiten auf die Volkswirtschaft. Mit einem von Ronald Reagan ererbten Haushaltsdefizit von rund 350 Milliarden Dollar läßt sich kaum noch eine staatlich gesteuerte Überwindung des Wirtschaftseinbruchs finanzieren. Der erforderliche Umbau der amerikanischen Kriegswirtschaft in eine wettbewerbsfähige Zivilwirtschaft wird kurzfristig zusätzliche ökonomische Härten mit sich bringen. Je geringer der Bewegungsspielraum des Präsidenten, um so lautstärker seine Kritiker, sei es nun in der Demokratischen Partei oder in den eigenen republikanischen Reihen. George Bush, „durch Gottes Gnade“ Sieger über den „imperialen“ Kommunismus, sieht sich jetzt daheim mit dem Zerfall jener konservativen Koalition konfrontiert, die von Bedrohung durch eben dieses Imperium jahrzehntelang zusammengehalten wurde.

Ob in der Abtreibungsfrage, in der Steuerdebatte oder beim Streit um das amerikanische Engagement in der Welt: Jener republikanische Konsens, mit dem Ronald Reagan nahezu unangefochten regierte, wird nun an allen Ecken und Enden brüchig. Nicht zuletzt deswegen wird das Weiße Haus derzeit mehr von taktischen und ideologischen Auseinandersetzungen im Beraterstab des Präsidenten erschüttert als von der Herausforderung der fünf demokratischen Präsidentschaftskandidaten. Die Lage des George Bush, so scheint es, ist nach zwölf Jahren der republikanischen Mißwirtschaft nicht besser als die der Nation. Rolf Paasch