Den Bock zum Gärtner gemacht

Iraner zum Vizepräsidenten der UN-Menschenrechtskommission ernannt/ Amnesty fordert mehr Engagement von Bonn  ■ Aus Bonn Andreas Zumach

Daß die Regierungen, die ihre Vertreter in die UN-Menschenrechtskommission entsenden, häufig selbst die Menschenrechte im eigenen Land verletzen, ist bekannt und schlimm genug. Dennoch hat die Entscheidung der Kommission, den Vertreter des Iran zum Vizepräsidenten bei ihrer am Montag begonnenen 48. Jahrestagung zu ernennen, internationale Empörung ausgelöst. Denn gerade die Menschenrechtsverletzungen im Iran sollten das Gremium in den nächsten Wochen beschäftigen.

Das Gremium, in dem 53 Regierungen vertreten sind, soll sich bis zum 7. März mit Berichten über die Menschenrechtssituation in einer Reihe von Ländern beschäftigen, die es im vergangenen Jahr in Auftrag gegeben hat. Die Dokumente, die unter anderem amnesty international (ai) der Kommission vorgelegt hat, zeichnen ein düsteres Bild der Lage im Iran: allein in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres sind mehr als 700 Menschen hingerichtet worden, Folter und willkürliche Verhaftungen sind an der Tagesordnung. Der Mordbefehl gegen Salman Rushdie besteht weiter. Die Regierung in Teheran hat sich in den letzten Jahren immer wieder hartnäckig um die Beendigung des Mandats für die Beobachtung des Iran durch einen Sonderberichterstatter bemüht. Amnesty befürchtet, daß Teherans Bemühungen in diesem Jahr Erfolg haben könnten. Zudem steht zu erwarten, daß sich der Iran bei der Gruppe der asiatischen Kommissionsmitglieder, die für die Ernennung des Iraners Sirus Nasseri gestimmt haben, erkenntlich erweisen wird: steht doch u.a. die Situation in Birma, Bhutan, China, Indonesien (Ost-Timor) und Sri Lanka auf der Tagesordnung. Es scheint bereits festzustehen, daß Tibet nicht behandelt wird.

Unter dem Vorsitz des ungarischen Juristen Pol Solt und den drei Vizepräsidenten Mohamed Ennaceur (Tunesien), Ronald Walker (Australien) und Nasseri sollen in den kommenden Tagen darüber hinaus fünf Kategorien von Menschenrechtsverletzungen behandelt werden: Folter, Hinrichtungen, Verschwindenlassen von Personen, willkürliche Verhaftungen und religiöse Intoleranz. Außerdem steht die Beratung neuer UNO-Vereinbarungen zu Menschenrechtsfragen auf der Tagesordnung.

Amnesty hat der Bundesregierung eine Reihe konkreter Forderungen vorgelegt, für die sich die Bonner Delegation in Genf „mit Nachdruck“ einsetzen soll. Ein Teil dieser Forderungen bezieht sich auf die Menschenrechtssituation in China, Indonesien und Sri Lanka sowie auf den Iran. Amnesty „beobachtet mit Sorge“, daß die westeuropäischen Staaten wegen ihres Interesses an der Verstärkung wirtschaftlicher Beziehungen insbesondere mit China und dem Iran auf die Menschenrechtsverletzungen in diesen Staaten immer weniger reagieren. Bei der gemeinsamen Positionsbestimmung der sechs EG-Staaten unter den Mitgliedsländern der Kommission hat die BRD ein erhebliches Gewicht.

Die Bundesregierung, so ai, soll „in der Kommission darauf dringen, daß wirksame Aktionen, vor allem bezüglich der Länder, unternommen werden, in denen das Muster ernsthafter Menschenrechtsverletzungen weiterhin erkennbar ist“. Neben China und dem Iran handele es sich dabei um Sri Lanka, Ost-Timor, Birma, Guatemala und Haiti. Bonn solle sich dafür einsetzen, daß die Kommission die bisherigen Mandate der Berichterstatter über diese Länder verlängert. Amnesty verweist auf die in den letzten Jahren „wachsende Zurückhaltung der UNO- Kommission, Maßnahmen gegenüber Menschenrechtsverletzungen in einzelnen Ländern zu ergreifen“. Die Organisation befürchtet, „daß sich diese Tendenz mit der zu Beginn der diesjährigen Sitzung erfolgten Erweiterung der Kommission um zehn neue Mitgliedstaaten aus dem Süden noch verstärken könnte“. Weil sie die „Normalisierung ihrer Beziehungen zu Teheran“ nicht gefährden wollten, zögerten einige westeuropäische Staaten, die „angesichts der fortdauernden Menschenrechtsverletzungen im Iran notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“.

Zu den Maßnahmen, die der Kommission möglich sind, gehört neben der Beauftragung von Sonderberichterstattern auch die Verurteilung eines Landes oder die Anforderung von Stellungnahmen durch seine Regierung. Amnesty erwartet, daß die Bundesregierung sich für entsprechende Maßnahmen auch im Fall China einsetzt. Trotz des Massakers vom „Platz des himmlischen Friedens“ im Juni 1989 und der nachfolgenden Menschenrechtsverletzungen hatte die Kommission dies zuletzt mit 17 gegen 15 Stimmen bei 11 Enthaltungen abgelehnt.

Amnesty plädiert weiterhin für eine Erneuerung der Kommissionsmandate zur Beobachtung bestimmter Kategorien von Menschenrechtsverletzungen sowie für eine Verlängerung der Geltungsdauer dieser Mandate von zwei auf drei Jahre. Der Kommission liegen hierzu Berichte von Unterausschüssen vor. 1991 gab es danach 21 Staaten, in denen das „Verschwindenlassen“ von Personen an der Tagesordnung ist. In 56 Ländern wird gefoltert, in 58 „willkürlich“ hingerichtet. Derzeit untersucht eine Unterkommission die Praxis „willkürlicher Verhaftungen“ in über 20 Ländern.

Schließlich fordert ai die Bundesregierung auf, sich für die Verabschiedung der „UNO-Erklärung gegen das Verschwindenlassen von Personen“ auf dieser Sitzung der Kommission einzusetzen. Amnesty erwartet weiterhin die Fertigstellung eines Zusatzprotokolls zur „UNO- Konvention gegen die Folter“. Darin sollen Besuche in Gefängnissen und anderen Haftorten zwecks Tatsachenermittlung verbindlich vorgeschrieben werden. Außerdem solle Bonn dazu beitragen, daß die Kommission eine Resolution verabschiedet, die alle Staaten, die dies bisher unterlassen haben, dringend auffordert, das Recht auf sofortige Vorführung vor einen Richter nach einer Verhaftung (Habeascorpusrecht) gesetzlich sicherzustellen — als ein auch in Notstandszeiten nicht aufhebbares Recht.