KOMMENTAR
: Quälende Richterwahl

■ Senat fällt Entscheidung, die ihm nicht zusteht

Der Richterwahlausschuß hat sich nicht erneut mit der Richterin Cathrin Junge befaßt, sondern die Personalie ungeöffnet an den Senat zurückgeschickt. Der Regierende Bürgermeister mag das als Affront empfinden, doch war es bloß die notwendige Antwort auf eine Brüskierung, die sich der Senat einen Monat zuvor geleistet hat. Er hatte die Akte dem Richtergremium zugesandt in der Hoffnung, daß dieses eine Entscheidung fällt, die er sich selbst nicht zu fällen getraute. Dieses taktische Kalkül Diepgens wurde durchkreuzt. Die Entscheidung liegt nun da, wo sie auch verantwortet werden muß, aber trotzdem nicht hingehört. Denn der Senat hat lediglich ein Recht zur Ernennung der Richterin, überprüft und berufen wird sie durch den Richterwahlausschuß. Daß der Senat aus diesem Ernennungsrecht ein eigenes materielles Prüfrecht ableitet, mag juristisch angehen, verwunderlich ist allemal, daß er es sich nach eigenem Gusto selber zugesteht. Wenn der Senat eigenständig entscheiden will, dann muß er auch den Nachweis erbringen, aus welchem übergeordneten Interesse heraus dies notwendig ist. Diesen Nachweis ist er bisher schuldig geblieben. Und er muß nachweisen, daß er sich nicht nur an den Buchstaben, sondern auch an den Geist der Gesetze hält. Und dann dürfte weder die jetzige PDS-Mitgliedschaft noch die frühere in der SED den Ausschlag geben. Ersteres nicht, weil die aktuelle Parteizugehörigkeit kein Prüfkriterium sein darf, und letzteres nicht, weil bei einem Richter der ehemaligen DDR von einer SED- Mitgliedschaft auszugehen war. Der Gesetzgeber wollte jedoch, daß DDR-Richter weiter richten, sonst hätte er nicht die entsprechenden Regelungen im Einigungsvertrag getroffen. Wenn der Senat diese Nachweise nicht erbringen kann, soll er gefälligst die Entscheidung dem vom Parlament gewählten Gremium, dem Richterwahlausschuß, überlassen. Anderenfalls ist zwanzig Jahre nach Einführung der Berufsverbote von einem untauglichen Wiederbelebungsversuch dieser Praxis zu sprechen. Dieter Rulff

Siehe auch Seite 22