Albert- oder Alberte-ville?

Frankreichs Genforscher protestieren gegen die neuen genetischen Geschlechtstests bei Olympia Der kleine Unterschied im Reagenzglas hat nichts zu sagen/ Sportlerinnen als Versuchskaninchen  ■ Aus Paris Alexander Smoltczyk

Noch knapp eine Woche bis zur Winterolympiade. Aber statt über Schnee- und Skikanonen, debattieren Frankreichs Sportverantwortliche zur Zeit vor allem über SRY- Gene und Genome, über existenzielle Wesensfragen im allgemeinen und Testosterone im besonderen. Grund: der für Albertville vorgeschriebene neue Geschlechtstest hat heftige Proteste von Gen-Wissenschaftlern und Gen-Ethikern ausgelöst: „Es handelt sich um eine offensichtliche Diskriminierung der Frauen. (...) In keinem Fall reduziert sich Weiblichkeit auf eine simple genetische Determinante“, erklärten unter anderen die Nobelpreisträger Francois Jacob und Jean Dausset. Dieser Auffassung schloß sich auch das „Nationale Ethik-Komitee“ an.

Alles begann damit, daß 1966 eine Erika Schinegger aus Österreich die Abfahrtsweltmeisterschaft gewann, die sich später als ein Erik entpuppte und als solcher ein Buch über seine ungewöhnliche Karriere verfaßte: Mein Sieg über mich. Der Mann, der Weltmeisterin wurde. Das kam zwar erst ein Dutzend Jahre später heraus, aber die Offiziellen hatten Verdacht geschöpft und erhoben den Geschlechtstest zur ersten Olympionikinnen-Pflicht. Niemand protestierte, niemand stellte die nicht ganz irrelevante Frage: Was ist eigentlich ein Geschlecht?

Die Berufsolympier verweisen auf das, was sie im Biologieunterricht gelernt haben: Zeig mir Deine Chromosomen, und ich sag Dir wer Du bist. Die Athletinnen spucken in ein Reagenzglas, man ortet mittels eines kürzlich erfundenen Verfahrens ein bestimmtes Gen in einem bestimmten Chromosomen und — fertig ist der kleine Unterschied. XY ist Mann, XX Frau. Tertium non datur.

Aber ganz so einfach sei das nicht, sagen nun die Experten. Das Geschlecht eines Menschen sei weder durch einen Blick in die Unterwäsche noch in das Genom festzustellen. Zum einen könne eine Frau in gewissen Fällen auch über ein XY-Chromosomenpaar verfügen, das durch eine Mutation quasi stillgelegt worden ist. Zum anderen könnte das „genetische Geschlecht“ durchaus von dem „hormonalen Geschlecht“ abweichen, ganz zu schweigen von dem psychologischen. Doch nur der hormonale Unterschied, sprich: das Männlichkeitshormon Testosteron, bewirke stärkere Muskelbildung, also Wettbewerbsvorteile auf der Piste. Das Pärchen XY hat mit der Hormonproduktion jedoch nur indirekt zu tun. „Der Test ist völlig inadäquat“, äußerte sich auch der Engländer Robin Lowell-Badge, Mitentdecker jenes Männlichkeitsgens, das mit dem neuen Test aufgespürt werden kann. Zur Feststellung des hormonalen Geschlechts reichte auch eine Urinprobe.

Auch nach dem Einspruch der „Ethik-Kommission“ lehnte das CIO eine Einstellung der Tests ab. Obwohl das Verfahren, so ein jüngster Rapport des „Nationalen Gesundheitslabors“, noch nicht ausreichend erprobt ist, wird es seit dem 25.Januar bei jenen 250 Sportlerinnen praktiziert, die nicht bereits über ein „Weiblichkeits-Zertifikat“ verfügen. Das CIO verweist auf die strenge Vertraulichkeit des Tests. Auch habe noch keine Sportlerin Einwände erhoben. Patrick Schamasch von der Medizin-Kommission des CIO: „Die Kontrolle dient nur zum ersten Nachweis. Falls sich ein Fall problematisch darstellt, wird eine Gynäkologin entscheiden, welche zusätzlichen Tests durchgeführt werden.“ Gewiß, nur geht es den Kritikern nicht nur um gleiche Chancen bei den Winterspielen. Sie wollen verhindern, daß genetische Tests banalisiert werden. Erst bei den Sportlerinnen, dann am Arbeitsplatz?

Die Initiative der Genforscher ist für Frankreich ein bislang einmaliger Vorgang: Zum ersten Mal äußern sich Genetiker über den Gebrauch, der von ihren Forschungsergebnissen gemacht wird. Aber dafür werden keine Medaillen vergeben.